von Nick Lüthi

«Die richtigen Fragen stellen»

Am Samstag hat die NZZ erstmals Informationen aus den «Swiss Papers» von Wikileaks veröffentlicht. Luzi Bernet, Nachrichtenchef und Koordinator der Wikileaks-Auswertung, erklärt, weshalb die NZZ mit diesen Dokumenten arbeitet und wie sie vorgegangen ist bei der Analyse der Diplomatendepeschen.

Wie kam die NZZ in den Besitz der sogenannten «Swiss Papers» von Wikileaks?

Die Westschweizer Zeitung Le Temps hatte einen Kontakt zu Wikileaks. Wie der zustande kam, wissen wir nur sehr oberflächlich. Auch die NZZ hat versucht, mit Wikileaks in Kontakt zu treten, scheiterte aber, da es nicht ganz einfach ist, an die richtigen Leute heranzukommen. Le Temps hat dann die Dokumente erhalten. Worauf sich Wikileaks erkundigte, ob es in der Deutschschweiz eine Zeitung gebe, die sich an der Auswertung beteiligen wolle. Freundlicherweise ist Le Temps auf uns zugekommen und hat uns die Dokumente übergeben.

Die NZZ hat sich mehrfach kritisch zu Wikileaks und seiner Veröffentlichungspraxis geäussert. Nun sitzt man selbst mit im Boot. Weshalb?

Das stimmt, wir haben eine kritische Haltung. Wikileaks interessiert uns eigentlich gar nicht gross. Wir betrachten diese Daten wie alle anderen Daten, mit denen wir als Journalisten arbeiten. Deshalb fanden wir, es könnte sich lohnen, die Dokumente einmal anzuschauen. Wir wollten zumindest einen Blick auf die Dokumente werfen, ohne uns einer Verpflichtung oder einem Druck auszusetzen, auch tatsächlich darüber berichten zu müssen.

Was ergab der erste Blick auf die «Swiss Papers»?

Erst einmal gar nichts, ausser einer unglaublichen Datenmenge. Umgerechnet hatten wir mehr als 33’000 A4-Seiten Text erhalten. Die Dateien waren überhaupt nicht strukturiert.

Welches waren die nächsten Schritte?

Zunächst ging es darum, diese Dateien in ein Format umzuwandeln, das ein Arbeiten mit einer solchen Datenmenge ermöglicht. Für diesen Schritt war Stefan Betschon, unser IT-Spezialist auf der Redaktion, besorgt.

Und was haben Sie daraufhin gesehen?

Dass die Dokumente durchaus von Interesse sind für eine Veröffentlichung, wenn auch nicht unter einem Newsaspekt. Die Diplomatendepeschen lieferten viel mehr ein atmosphärisches Bild von den Beziehungen der Schweiz zu den USA. Diese Einschätzung brachte uns auch dazu, keine Einzelaspekte herauszugreifen, wie dies Le Temps tut, sondern ein Gesamtbild zu zeichnen. Das Ergebnis ist die Doppelseite, die wir am Samstag veröffentlicht haben.

Das heisst, Sie sind nicht wirklich zu neuen Erkenntnissen gelangt?

Nein, die gibt es nicht. Vor allem nach der ersten Phase ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Wir haben kaum etwas Neues gefunden. Vereinzelt hatte «Der Spiegel» bereits über Schweizer Aspekte aus den Diplomatendepeschen berichtet. Es ist schon möglich, dass es irgendwelche Trüffel gibt, die wir bis jetzt noch nicht gefunden haben.

Wie geht es nun weiter?

Wir haben noch längst nicht alle Dokumente durchforstet. Es gibt aber keinen bestimmten Publikationsrhythmus. Wenn wir etwas finden, dann entscheiden wir, ob wir das veröffentlichen wollen oder nicht. Das Ganze ist auch ein sehr zeitaufwändiger Arbeitsprozess.

Wie haben Sie sich organisiert, um die Wikileaks-Dokumente auszuwerten?

Insgesamt waren acht Leute daran beteiligt. Das Kernteam bestand aus vier Redaktoren. Diese haben eine Woche lang nichts anderes gemacht, als an der Auswertung der Dokumente zu arbeiten. Wichtig war, dass die richtigen Leute in diesem Team waren. Dazu braucht es erfahrene Journalisten, die einschätzen und bewerten können, was sie in diesen Diplomatendepeschen vorfinden. Simon Gemperli zum Beispiel, der in der Inlandredaktion das Dossier EDA betreut, konnte einschätzen, was aus den Dokumenten zu holen sein könnte und hat entsprechend auch die richtigen Suchanfragen formuliert. Kern der Sache war aber Journalismus der guten alten Art, solides Handwerk.

Wie hat dieses Team zusammengearbeitet?

Gemeinsam haben wir einen Fragenkatalog erstellt und jene Begriffe definiert, nach denen wir suchen wollten. Danach ist jeder in sein Büro verschwunden. Zwei-, dreimal pro Tag haben wir uns getroffen und uns über den Zwischenstand unserer Recherchen ausgetauscht.

Wie lautet Ihre Bilanz zu dieser neuen Arbeitserfahrung?

Insgesamt waren die letzten Tage sehr lehrreich. Da sich die NZZ nicht gerade durch eine übertriebene Recherchekompetenz auszeichnet, war es interessant, für einmal investigativ zu arbeiten und als Team einen grossen Berg Arbeit auf einmal abzutragen. Weil das so gut funktioniert hat, kann ich mir vorstellen, auch in Zukunft bei Projekten von vergleichbarem Ausmass auf dieselbe Weise vorzugehen.