von Nick Lüthi

Im Selbstbedienungsladen

Die Schaffhauser Nachrichten drucken einen Blogbeitrag ab, ohne dafür die Autorin um Erlaubnis gebeten zu haben. Skandal! schallt es durchs Netz, umso mehr, weil sich Verleger und Chefredaktor Norbert Neininger für den besseren Schutz des geistigen Eigentums von Journalisten und Verlagen starkmacht. Der «Skandal» wirft ein bezeichnendes Licht auf die weit verbreitete Selbstbedienungsmentalität im Internet.

Manchmal muss es schnell gehen. Etwa dann, wenn der Redaktionsschluss bedrohlich näher rückt und auf den Zeitungsseiten noch Lücken klaffen. Wo finde ich das passende Bild, wenn die Fotoagentur das gesuchte Sujet nicht bereithält? Natürlich im Internet. Wie gegoogelt, so gefunden und ab ins Layout. Um die Herkunft zu verschleiern ein Fantasiekürzel darunter gesetzt – beispielsweise adi. – und die Seite ist druckreif. Das ist kein erfundenes Beispiel, sondern die jahrelange Praxis bei einer Schweizer Qualitätszeitung. Ältere Kollegen zeigten neuen Mitarbeitern stolz, was sich mit der Bildsuche bei Google alles finden lässt und mit einem Schmunzeln erklärten sie, dass adi als Abkürzung für «aus dem Internet» stehe. So weit, so schlecht.

Der Faktor Zeit spielt bei mutwilligen Übertretungen rechtlicher und berufsethischer Schranken im Internet eine entscheidende Rolle. Pressierts, passierts. Weshalb mühselig abklären, ob und wie und zu welchen Bedingungen, wenn doch alles schon pfannenfertig bereitliegt? Gelegenheit macht Diebe. Genauso gilt aber auch: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die meisten Klauereien bleiben unentdeckt. Das liegt auch in der Natur des Digitalen. Niemand vermisst sein Bild oder seinen Text, wenn sie anderenorts veröffentlicht werden. Wer aber die eigenen Werke ungefragt andernorts vorfindet, fühlt sich hintergangen und staunt ob dem dreisten Vorgehen der Kopisten.

So erging es auch Monika Bütler. Eine Leserin der Schaffhauser Nachrichten machte die St. Galler Professorin darauf aufmerksam, dass die Zeitung einen Text aus ihrem Blog veröffentlicht hat. Bütler staunte nicht schlecht. Denn gefragt hat man sie nie. Die Zeitungsredaktion nutzte den Blog als Selbstbedienungsladen. Vermutlich musste es auch in diesem Fall schnell gehen. Und es geht ja auch schnell: Copy, paste und der Diskussionsbeitrag steht im Blatt.

Als Bütler den Fall publik und ihrem Unmut über das dreiste Vorgehen Luft macht, richtet sich die öffentliche Empörung umgehend gegen Norbert Neininger, den Verleger der Schaffhauser Nachrichten. Ausgerechnet seine Zeitung wird des Contentklaus überführt! Neininger, der sich als Mitglied im Präsidium des Verlegerverbands für einen besseren Schutz des geistigen Eigentums von Journalisten und Verlagen starkmacht. Eines seiner Steckenpferde ist das sogenannte Leistungsschutzrecht, das er am liebsten schon heute in der Schweiz einführen möchte. Damit würde das Zitieren aus Zeitungen, wie es z.B. Google für seine News-Plattform tut, entschädigungspflichtig. Und nun übernimmt Neiningers Blatt gleich einen ganzen Artikel, ohne eine Entschädigung dafür vorzusehen. Erst nachdem die Autorin den Fall publik gemacht hatte und Geld für den Abdruck verlangte, bot Neininger magere, aber durchaus branchenübliche 80 Franken. Zu einer gewundenen Entschuldigung im eigenen Blatt konnte sich Neininger schliesslich auch noch durchringen.

Doch seine Krisenkommunikation glich einer mittleren Katastrophe. Anstatt schnell zu reagieren und öffentlich eine unmissverständliche Entschuldigung auszusprechen, blieb es zuerst einmal still. Schliesslich durfte Neininger bei persoenlich.com und dem Tages-Anzeiger unter gütiger Mithilfe der befragenden Journalisten, seine Rechtfertigungsversuche ausbreiten. So sieht sich der Verleger und Chefredaktor nicht etwa als Täter, sondern als Opfer einer Kampagne gegen ihn. Die unautorisierte Textübernahme sei ein «Versehen». Weiter darf sich Neininger  unwidersprochen darüber beklagen, dass auf Twitter «unreflektiert Vorwürfe» verbreitet würden, «ohne dass der Betroffene zu Wort kommt». Nun: Twitter ist eine Dialogplattform, die Neininger selbst intensiv nutzt. Er hätte also vom ersten Moment an die Möglichkeit gehabt, zeitnah und ungefiltert Stellung zu nehmen und die Kritik zu kontern.

Ohne den Täter damit entlasten zu wollen: Neininger und seine Zeitung haben letztlich nur das getan, was viele andere auch tun – egal ob Zeitungen oder Blogger. Zu einem Skandal taugt der Fall also schlecht. Die Kritiker sitzen selbst im Glashaus. Wer reinen Gewissens versichern kann, nie im Netz geklaut zu haben, werfe den ersten Stein.

Bild: Flickr/fintbo (CC BY-NC-ND 2.0)

Leserbeiträge

Martin Stutz 09. Februar 2012, 16:14

„Bütler staunte nicht schlecht“.

Kann man denn schlecht staunen?

Nick Lüthi 09. Februar 2012, 16:30

Besten Dank für Ihre sprachkritische Anmerkung. Die Frage stellt sich tatsächlich. Als Redewendung hat sich «nicht schlecht staunen» aber etabliert, auch wenn die Aussage ohne die Verneinung wenig Sinn hat.

Thomas Mauch 11. Februar 2012, 08:01

‚tschuldigung, aber es ist und bleibt ein Skandal. Wegen der Doppelmoral, wegen der Dreistigkeit und wegen der Auffassung, das Recht nach eigenem Gutdünken beugen zu dürfen.

Als Blogger gehen wir öfters Kooperationen mit „traditionellen“ Medienhäusern ein, die unsere Inhalte zweitpublizieren. Sehr gerne, sogar. Sie fragen vorher einfach.

Wir antworten auch schnell, sollte jemand unter Zeitdruck sein. Versprochen.

Nick Lüthi 12. Februar 2012, 21:54

Ob Skandal, «Neininger-Gate» oder Spitze des Eisbergs: Worum es geht, dürfte allen klar sein, die sich mit den Fakten vertraut gemacht haben. Auf die Titulierung kommt es dann auch nicht mehr an. Ich halte es deshalb nicht für einen Skandal, weil wir sonst tagtäglich Skandal schreien müssten. Und was bringt das schon?