von Nick Lüthi

Der Täter als Opfer und Moralapostel

Der Schaffhauser Verleger Norbert Neininger fordert mehr Anstand und Fairness im Internet, dabei liess gerade er diese Tugenden in letzter Zeit vermissen. In seiner Kolumne im «Sonntag» verliert er kein Wort über sein eigenes zweifelhaftes Verhalten. Wie sich ein Täter zum Opfer stilisiert.

Wer die Kolumne im «Sonntag» liest (herunterscrollen), gewinnt den Eindruck, Neininger sei unverschuldet Opfer eines zwar harmlosen, aber deshalb nicht minder eindrücklichen Shitstorms geworden. Wie er schreibt, wurde ihm zum ersten Mal das «Schädigungspotenzial einer konzertierten Twitter-Attacke offenbar». Das mag er so erlebt haben. Doch von nichts kommt nichts.

Kritik musste sich Neininger in letzter Zeit gefallen lassen, weil seine Zeitung einen Text aus dem Blog von HSG-Professorin Monika Bütler herauskopiert und als Debattenbeitrag veröffentlicht hatte – ohne die Autorin dafür um Erlaubnis gebeten zu haben. Wenn sich in die berechtigte Kritik auch Häme mischte, dann deshalb, weil sich der fehlbare Verleger in der Vergangenheit immer wieder für eine bessere Respektierung des Urheberrechts im Internet starkgemacht hatte.

Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu grotesk an, wenn Neininger die Parole ausgibt: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Natürlich ist es das nicht. Das gilt auch bei der Beschaffung von Gastbeiträgen für die Schaffhauser Nachrichten. Ausserdem war das Internet noch nie ein rechtsfreier Raum. Hier gelten die gleichen Gesetze wie in der physischen Welt, ja die Regulierungsdichte dürfte sogar noch höher sein.

Auch die Forderung nach einem Verbot anonymer Twitter- und Facebook-Accounts liegt in diesem Zusammenhang völlig quer in der Landschaft. Ein Shitstorm würde deshalb nicht milder ausfallen. Gibt es berechtigten Anlass zur Kritik, sind viele bereit, mit offenem Visier anzutreten. Das zeigte sich auch in Neiningers Fall: Die schärfsten Kommentare kamen von Personen, die zu dem stehen, was sie schreiben. Ausserdem gibt es kein Gesetz, das ein anonymes oder pseudonymes Auftreten im Internet verbieten würde.

Der selbstgefällige Auftritt hätte sich abmildern lassen, wenn die Redaktion des «Sonntag», die Neininger Gastrecht gewährt hat, als Vorspann zur Kolumne erklärt hätte, weshalb der Autor Zielscheibe der Kritik geworden war. Offenbar hat man das einfach vergessen. Noch besser hätte es Neininger einfach bleibenlassen und gar nicht erst versucht, sich als Moralapostel aufzuspielen.

Leserbeiträge

bugsierer 20. Februar 2012, 18:08

einfach vergessen? es fällt mir sehr schwer, das zu glauben. diese ausrede ist fast so schlecht gewulfft wie die von copycat neininger. lautet nicht eins der fünf journalistischen w’s „warum“?

neininger spricht von einer „konzertierten twitter-attacke“. hätte er twitter begriffen, wüsste er, dass das nicht geht. niemand bei twitter kann sagen „organisieren wir doch mal einen kleinen twitter-shitstorm gegen neininger“. er würde sich lächerlich machen. twitterer, die solches zeugs posten, sind in der regel selbstbewusste und selbstbestimmte zeitgenossen, die sich vor keinen karren spannen lassen. das sollte eigentlich auch die bei twitter aktivste ch redaktion vom sonntag wissen.

neininger schwurbelt sodann von hundertausendfacher verbreitung, malt damit einen weiteren teufel an die wand und dramatisiert seine krude opferrolle weit über gebühr. die anzahl tweets/retweets zu seinem fall dürfte sich im tiefen fünfstelligen bereich befinden. auch das hätte der sonntag redaktion auffallen können.

im übrigen ist es nicht das erste mal, dass herr neininger über seine kritiker herzieht und sie als lusche netzmaniacs hinstellt. dass er sie kürzlich als „schwarmdumm“ bezeichnete, war nur der vorläufige höhepunkt seiner altbackenen verbalattacken. in seiner kolummne im sonntag spricht er im ersten absatz von „Manifestationen der Bösartigkeit, der Dummheit und des fehlenden Anstandes“ im offline bereich, dann leitet er über zur schlammlawine im internet, schwurbelt etwas zwischen „laues lüftchen“ und „schädigungspotenzial“ – die petarden sind wild zusammengewürfelt, aber der unbedarfte leser kriegt eindeutig das gefühl: krass, dieses internet, der arme neininger.

die frage ist jetzt: warum darf herr neininger seine krude position zuerst gross bei persönlich, dann etwas kleiner im tagi und jetzt noch beim sonntag in dieser weise (ohne kompetente gegenfragen) ausbreiten? das kommt mir doch etwas gar konzertiert vor.

dot tilde dot 23. Februar 2012, 01:11

ohne die schilderung der replik neiningers ist die geschichte doch eigentlich nur halb so schön.

nach opfer klingt die nämlich nicht gerade. eher nach jemandem, der mir gewohnt zu sein scheint, einen diskurs so stattfinden zu lassen, wie er es braucht.

in den leistungsfähigsten betrieben, die ich bisher geschäftlich kennenlernen durfte, gehen die leitenden personen mit bestem beispiel voran.

wenn ich den erfolg der publikation als betriebsziel annehme, ist mir schleierhaft, welche erwartungshaltung herr neininger seinen mitarbeitern mit diesem vorbild mitteilen will. er hätte doch

ich werde mich sicher irren, aber meinem eindruck nach wurde hier spielraum verschenkt, die sn als souveränes, modernes, sympathisches medium darzustellen.

lesern und mitarbeitern gegenüber.

und das in zeiten, wo es schon mal eng werden kann.

.~.

Ioannis 23. Februar 2012, 12:43

Es scheint in der heutigen Zeit üblich zu sein etwas zu verbocken und dann nichteinmal den Schneid zu haben sich dafür zu entschuldige. Dabei ist es egal, ob man Bürgermeister in Duisburg ist, im Präsidentenpalast sitzt oder doch nur Chefredakteur einer Zeitung.

Insbesondere diese teilweise sture Ignoranz, die den Anschein erweckt, dass man etwas besseres ist und dazu nichts mehr sagen muss, stört mich an der ganzen Sache am meisten.