Alles nichts ohne Glaubwürdigkeit
Journalisten diskutieren im Netz vermehrt unter den Augen der Öffentlichkeit. Gut so, schliesslich gibt es keinen Grund, die res publica in abgeschlossenen Elitenzirkeln zu verhandeln. Zum Vorschein kommt dabei die wichtigste Eigenschaft des Journalisten: die Glaubwürdigkeit.
Auf dem Schiff Tages-Anzeiger gibt immer wieder Diskussionen, wie soll es auch anders sein. Es gibt nicht nur die Galeere, in der die Ruder auf den Schlag des Content-Diktators bewegt werden. Es gibt auch ein Hauptdeck, das geschrubbt werden muss. Und ein Oberdeck, auf dem im makellosen Anzug über den richtigen Kurs reflektiert wird.
Neu ist, dass öffentlich diskutiert wird. Im seit Mitte Januar existierenden Blog von Das Magazin gibt Daniel Binswanger am 11. März dem Recherchechef des Mutterblatts Tages-Anzeiger, Arthur Rutishauser, zu verstehen, dass er sich bei den Recherchen zu den Lunch-Spesen eines Nationalbank-Direktoriumsmitglieds in eine Bagatelle verbissen hat:
«(…) einen Enthüllungsartikel über Jean-Pierre Danthine geschrieben, der auf mich wirkt wie aus einem satirischen Giacobbo/Müller-Sketch über Boulevard-Enthüllungsjournalismus.»
Und am 13. März nimmt Michèle Roten einen Tages-Anzeiger-Artikel von Ev Manz auseinander:
«Ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal so einen Quatsch gelesen habe.»
Und Thomas Zaugg schreibt am 14. März über die Verlagsschwester Sonntagszeitung. (Nachtrag, 21. März, 13:30 Uhr: Thomas Zaugg weist per Twitter darauf hin, dass das Zitat von Roten nicht als Kritik am „Tages-Anzeiger“-Artikel gemeint ist, sondern sich auf den Mama-Coach bezieht.)
Öffentlich gestritten wird auch im Bürogebäude an der Zürcher Förrlibuckstrasse (Dominique Strebel vom «Beobachter» vs. Alex Baur von der Weltwoche), zwischen Zürich und Berlin (René Zeller von der NZZ vs. Frank A. Meyer vom Ringier-Verlag), zwischen Radiopionieren und Edelfedern (Roger Schawinski von Radio1 vs. Constantin Seibt vom Tages-Anzeiger) und natürlich in den Leserbriefspalten der Zeitungen (Andi Kunz von der Weltwoche vs. Peter Rothenbühler in der Aargauer Zeitung). Fast tägliche Beispiele für Diskussionen liessen sich aus den öffentlichen und halböffentlichen Räumen von sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook anführen.
Wenn sie nicht in einen kleinkarierten Streit ausarten, sind öffentliche Debatten erfreulich, auch wenn sie unter der gleichen Marke, unter dem gleichen Verlagsdach stattfinden. Es wäre doch sehr überraschend, wenn unter Journalisten, die zur Meinungsvielfalt beitragen sollen, Meinungseinfalt bestehen würde. Viele der angeführten Debatten brechen nach Rede und Gegenrede abrupt ab. Diese Kürze verleiht der Diskussion zwar eine angenehme Übersichtlichkeit, das (erneute) Eingehen auf die Argumente des Anderen wäre aber schon wünschenswert.
Der offensichtliche Gewinn solcher Debatten für das Publikum ist die Einsicht in den Journalisten abseits seines Werks. Wie verteidigt er seine Arbeit, wie tickt er, kann er sich auch abseits von Redaktionsprozessen ausdrücken? Einige Diskussionen führen auch zurück zum Kern des Journalismus, den Fakten. Auch wenn nicht wenige Unterhaltungsarbeiter, Quotenbolzer, Fantasten keine Scham haben, sich Journalisten zu nennen, so sind sie das natürlich nur so lange, wie sie dem Publikum Fakten liefern. Ein Tom Kummer mag ein grossartiger Schreiber sein – und nicht seine ausgedachten Interviews machen ihn zum Fälscher, sondern der Verkauf von ihnen als Gespräche, die tatsächlich stattgefunden haben. Die Auseinandersetzung mit den Fakten befördern auch Watchblogs wie Bildblog oder Kobuk.
Ein Journalist kann, anders als eine Versicherungsfachfrau, ein Friseur oder eine Erwachsenenbildnerin, keine Diplome vorweisen, die ihm durch eine Ausbildung garantierte Fachkenntnis garantieren. Denn Journalist ist, und das ist gut so, ein ungeschützer Beruf, der ergreifen kann, wer sich dazu befähigt fühlt. Um so abhängiger ist ein Journalist vom Vertrauen, das das Publikum in seinen Namen setzt oder in die Marke, unter der er publiziert.
Die Bewahrung der Glaubwürdigkeit ist entscheidend. Es ist bald dreissig Jahre her, dass der «Stern» gefälschte Hitler-Tagebücher vorabdruckte – doch noch heute verbinden viele diese Fehlleistung direkt mit der Marke. Umgekehrt kann die Glaubwürdigkeit eines Titels einen Ruf zerstören – wie zuletzt Georg Diez im «Spiegel» mit seinem Artikel «Die Methode Kracht» bewiesen hat. Auch wenn sich umgehend 17 Autoren mit dem Schriftsteller Christian Kracht solidarisierten und «die Grenzen zwischen Kritik und Denunziation überschritten» sahen, so werde Kracht von nun an immer das Attribut «umstritten» oder, noch diffuser, «problematisch» anhaften, schrieb beispielsweise Gregor Keuschnig auf begleitschreiben.net:
Alleine die Tatsache, dass jemand im »Spiegel« derart gegen den Autor Stellung bezogen hat, reicht aus, um diese Meinung als Teil des Diskurses zu erhalten und immer wieder – je nach Bedarf – aus der Schublade zu holen.
Was ein Vorwurf taugt, stellt sich oft erst in den Debatten dazu heraus. Kommunikationsarbeiter aller Art tun gut daran, sich an Ort und Stelle der Diskussion einzuschalten und die Faktenlage im eigenen und im öffentlichen Sinne zu bereichern. Es mag Momente geben, in denen Schweigen eine Antwort ist, doch in aller Regel ist die Darlegung der eigenen Position das Richtige.
Die Deutung der Debatte ist dem Konsumenten überlassen. Er entscheidet, welche Argumente ihn zu überzeugen vermögen – und passt je nach dem den eigenen Medienkonsum an. Denn wer sich mit unbelegten Vorwürfen wichtig machen will, gehört kritisiert, verklagt oder irgendwann einfach ignoriert, ganz so wie jeder gemeine Troll. Das gilt für den Twitterer, den Blogger, den Blick-Kolumnisten, den NZZ-Redaktor und selbst für den mehrfach preisgekrönten Journalisten.
Verwendete Bilder: facebook.com/HorstSchlaemmer