400 Franken für die Demokratie
Mit der Teilrevision des Radio- und Fernsehgesetzes soll die geräteabhängige Empfangsgebühr abgeschafft werden. Vorgesehen ist eine allgemeine Haushaltabgabe. Zahlen muss auch, wer nicht Radio hört und fernsieht. Das sei ein Beitrag für die Demokratie. Damit stellt der Bundesrat die Grundsatzfrage nach der Rolle öffentlicher Medien.
Fünf Jahre nach Inkrafttreten des totalrevidierten Radio- und Fernsehgesetzes gelten einzelne Bestimmungen bereits wieder als überholt. Deshalb hat der Bundesrat nun eine Teilrevision in die Wege geleitet. Kernpunkt der Revision ist ein neues Gebührensystem zur Finanzierung des Service public von SRG und konzessionierten Privatsendern.
Bis Ende August können sich Kantone, Parteien, Medienverbände und -unternehmen und weitere betroffene Kreise zur geplanten Revision des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG äussern. Gestern hat das Bundesamt für Kommunikation die Vernehmlassungsunterlagen veröffentlicht.
Was schon länger absehbar war, steht nun auch im Gesetzesentwurf: Anstelle der bisherigen geräteabhängigen Empfangsgebühr soll eine allgemeine Haushaltabgabe für Radio und Fernsehen treten. Sprich: Jeder Haushalt, sowie Unternehmen ab einer bestimmten Grösse, finanzieren mit einem jährlichen Betrag den öffentlichen Rundfunk – unabhängig davon, ob sie Empfangsgeräte besitzen oder nicht.
Von den Leistungen der Service public-Medien profitiere auch, wer nicht Radio höre oder fernsehe, begründet der Bundesrat den Wechsel zur allgemeinen Abgabe. Mit dieser Argumentation erhält die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks eine neue Dimension: Es geht im Kern nicht mehr um Radio und Fernsehen, sondern um die Demokratie, steht im erläuternden Bericht nachzulesen:
«Die direkte Demokratie in der Schweiz ist heute auf Radio und Fernsehen angewiesen und wäre ohne diese Medien kaum mehr funktionsfähig. Das einheimische kulturelle Leben findet in Radio und Fernsehen nicht nur ein Echo, sondern auch eine unverzichtbare Plattform. Die Programmveranstalter erfüllen somit eine unverzichtbare öffentliche Aufgabe, und ihre Leistungen kommen auch jenen Personen zugute, die nie ein schweizerisches Programm sehen oder hören. In einem geräteunabhängigen System tragen deshalb alle zur Finanzierung dieser Leistungen bei.»
Mit dieser ideologischen Argumentation rückt unweigerlich die Leistung der SRG und der gebührenfinanzierten Regionalsender ins Zentrum der Diskussion: Öffentlicher Rundfunk als Bedingung für eine funktionierende Demokratie. Zwar gilt als unbestritten, dass Radio und Fernsehen einen essenziellen Beitrag zur Information und Meinungsbildung in einer Demokratie leisten. Aber das Perfide an der Behauptung: Sie lässt sich nicht falsifizieren und mündet letztlich in den abenteuerlichen Schluss, wonach die Schweiz ohne öffentlich finanzierte Medien kollabieren würde. Ob solcher Alarmismus der längst fälligen Diskussion über die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks zuträglich ist, oder nicht eher als erpresserische Geste aufgefasst wird, werden die Vernehmlassungsantworten und später die parlamentarische Beratung zeigen.
Der Bundesrat nennt freilich auch weniger tiefschürfende Gründe für die Einführung einer Medienabgabe zur Finanzierung des öffentlichen Runfunks. So würden mit einer allgemeinen Abgabepflicht auf einen Schlag die Schwarzseher verschwinden, da nicht mehr geprüft werden müsste, ob jemand mit einem unangemeldeten Gerät Radio hört oder fernsieht. Entsprechend entfallen die von den Betroffenen als Schnüffelei empfundenen Hausbesuche der Billag-Kontrolleure.
Des weiteren löst eine allgemeine Abgabe den Definitionsstreit darüber, was nun ein Empfangsgerät sei und was nicht. Und schliesslich, was die Gebührenzahler freuen wird: Anstelle der aktuellen Empfangsgebühr von 462 Franken für Radio und Fernsehen würden nach dem neuen Modell pro Haushalt nur noch 400 Franken fällig. Die Freude dürfte sich allerings bei jenen in Grenzen halten, die heute keine oder reduzierte Gebühren zahlen, weil sie entweder gar nicht oder nur für den Radio-, respektive Fernsehempfang zahlen und künftig den vollen Betrag berappen müssten.
Die genaue Höhe einer möglichen Medienabgabe wird nicht im Gesetz festegelegt, sondern erst vom Bundesrat in der dazugehörigen Verordnung. 400 Franken werden im erläuternden Bericht zur Gesetzesrevision mehrfach genannt und auch bei früherer Gelegenheit kursierte dieser Betrag. Doch die Abgabe könnte auch auf der Höhe der bisherigen 462 Franken bleiben; etwa dann, wenn sich die Gewerbelobby im Parlament mit ihrem Ansinnen durchsetzt, die Unternehmen komplett von der neuen Abgabe zu befreien.
Vladimir Sibirien 10. Mai 2012, 21:47
Es macht in der Tat keinen Sinn, so einen Billag-Zirkus zu veranstalten. Es erstaunt mich, dass Besserung in Sicht ist. Ist man von der Politik eigentlich so nicht gewohnt.
Wobei hier eigentlich ein deutliche Senkung angezeigt wäre. Erstens müsste der Wegfall der Billag-Administrationskosten eine Senkung begünstigen. Zweitens wäre dies ein hervorragender Anlass, das Programm des SF gründlich zu überdenken. Service Public beinhaltet nicht B-Filme und Soaps, SMS-Abzockshows, diese verhinderten Quiz-Sendungen und all diese Lückenfüller. Das Niveau der Sparte „Unterhaltung“ ist absolut unterirdisch. Und bitte keine Börsensendungen mehr. Pelzig sagte mal so zutreffend: Wieso macht man für die handvoll Aktienbesitzer jeden Tag eine Sendung wo es doch ein Vielfaches an Alkoholikern gibt? Wieso muss ich mir von einer merkbefreiten Börsentussnelda in Form eines Witzes auf Kindergartenniveau erklären lassen, dass gerade x tausend Arbeitnehmer auf die Strasse gestellt wurden?
Ich könnte ausrasten.
Fernsehen ist ein wichtiger Bestandteil für eine Demokratie und die öffentliche Meinungsbildung. Was für Sendungen brauchts dazu: Information (Dok, Reporter, Cash-TV,…), Nachrichten, echte Satire (da attestiere ich dem Schweizer Volk ein Globalversagen: Wo sind die Polts? warum gibt es keine „Anstalt“? „Scheibenwischer“?), Diskussionen (a la Sternstunden), von mir aus auch Folklore. Für die verbleibenden Sendeplätze:
TESTBILD
Danke.
Ruedi Stricker 11. Mai 2012, 12:04
„Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.“ Wenn ich da sehe, auf welchem Niveau unsere Landesregierung das eigene Volk für dumm verkaufen will, frage ich mich ernsthaft, womit wir diese Regierung verdient haben. Müssen wir uns mit der Frage befassen, ob der Bundesrat auch mit der EU, mit Deutschland, den USA und anderen Staaten so intelligent verhandelt? „Heil Dir, Helvetia, hast noch ein paar Franken da….“
Rolf Brüderlin 12. Mai 2012, 11:42
Warum denn nicht auch gleich noch ein SBB-Generalabo als Obligatorium für jede Person über 6 Jahren…? Dann gäbe es tatsächlich keine Schwarzfahrer mehr.
Diese in Euphemismen gekleidete Volkspädagogik redet von Demokratie und betreibt dabei billigiste Interessenspolik durch simple Verfahrensvorgaben.
Vladimir Sibirien 12. Mai 2012, 20:49
Demokratie und ÖV haben soviel miteinander zu tun wie Giaccobo und lustig. Ist denn das System Billag keine Verfahrensvorgabe?
hedi s. 12. Mai 2012, 15:06
Wenn durch diese allgemeine Gebühr der ganze Billag-Quatsch mit seinen Profiteuren in den Kaderfunktionen überflüssig wird, diese Gebühr über die Steuerverwaltung einkassiert wird, würde ich sogar noch für Fernsehen bezahlen, obschon ich zu den „Dinosauriern ohne“ gehöre. Sollte das Programm dann keine dieser dümmlichen Unterhaltungssendungen, Werbeblocks usw. (siehe Kommentar von Vladimir) mehr bringen, dafür etwas mehr mit Inhalt würde ich vielleicht sogar einen Fernseher anschaffen.
Anton Keller 12. Mai 2012, 16:43
Wenn ja alle Privatpersonen zahlen müssen, weshalb auch die Firmen?
Tobias Odermatt 14. Mai 2012, 15:25
Die Argumentation für eine Empfangsgebühr ist absolut unhaltbar. Gerade wenn von Demokratie gesprochen wird, müsste so ein Service aus den Steuergeldern finanziert werden. Damit wäre sie dann auch fair aufgeteilt auf die Einkommensverhältnisse. Das ist unverzichtbar für eine aufgezwungene Gebühr.
Des weiteren ist es gerade heute eine Tatsache dass TV und Radio absolut verzichtbar sind. Mit einer Zeitung und oder einem Blick ins Internet ist alles wissenswerte in Erfahrung zu bringen.
Nichts gegen ein öffentlich rechtliches Radio und einen ebensolchen Sender. Das ist eine gute Ergänzung zu privatwirtschaftlichen Medien. Aber dieser Auftrag kann auch mit 10% des Geldes wunderbar erfüllt werden – nein, dies wäre sogar besser, denn heute wird viel zu viel Geld für Unsinn verschwendet.
Ruth Obrist 17. Mai 2012, 20:45
Die Schweiz ist umgeben von milliardenschweren privaten und öffentlichen Medienbetrieben, die politische Meinungen verkaufen. Unser Land könnte ihnen wenig entgegenhalten. Ohne öffentlichen Rundfunk würden wir medial kolonialisiert. Lieber bezahle ich aus meinem schmalen Haushaltsbudget Radio- und Fernsehgebühren, als kolonialisiert zu werden.
Hanspeter Reichmuth 19. Mai 2012, 13:40
Vor der Abstimmung zum Krankenkassenobligatorium behauptete Frau BR Dreyfus, die Prämien würden sinken, wenn alle Bewohner des Landes an dieser Versicherung teilnähmen. Die Folgen sind bekannt. Heute wird die gleiche Begründung für ein Obligatorium vorgebracht: Die Gebühren würden ’signifikant‘ sinken, wenn alle Haushalte der Schweiz diese zu entrichten verpflichtet sind. Wie in jedem durch Zwang geschützten Bereich wird das Gegenteil eintreten und man wird diesen Zwang nicht mehr rückgängig machen.
Und zur offiziellen Begründung noch dieses: Beim ersten Obligatorium wurde der zur Hohlformel verkommene Begriff der Solidarität bemüht. Heute sind es die ebenso ausgehöhlten Begriffe Demokratie und Zusammenhalt. Es würde also ausgerechnet der Bildschirmkonsum die Atomisierung der Gesellschaft behindern, ja gar deren staatspolitische Reflexion befördern können. Wie wunderbar! In Wirklichkeit geht es wohl darum, den kritischen Bürger auszuschalten, der für eine Leistung nicht bezahlen will, die er als überflüssig betrachtet. Und selbstverständlich wird der Entscheid nicht dem Volk zugewiesen, sondern dem Parlament, wo zwei Drittel vor der Macht des Staatsfernsehens in die Knie gehen und der neuen Steuer zustimmen. Man will es sich mit diesem Medium doch nicht verderben…
Vladimir Sibirien 21. Mai 2012, 11:55
Als Einwohner der Schweiz und Nutzniesser der Demokratie ist auch der „kritische Bürger“ verpflichtet, seinen Beitrag an freie Informationen zu leisten. (Damit sage ich nicht, dass das SF dies zufriedenstellend umsetzt, im Gegenteil.) Es ist typisch für unsere Zeit und Gesellschaft, dass man glaubt, immer und überall sich nur das rauspicken zu können, was einem persönlich nutzbringend erscheint. Wahlfreiheit eines kritischen Bürgers ist hier völlig fehl am Platze. IHRE Demokratie ist auch die Demokratie all der „unkritischen Bürger“, deswegen sollten Sie ein Interesse haben, dass Ihre unkritischen Demokratiepartner umfassend informiert werden. Denn sonst stehen Sie einer vollends verblödeten Mehrheit gegenüber – und Minderheiten haben es in einer Demokratie erfahrungsgemäss schwerer. 🙂