Die Ignoranten und der Hofnarr
Das Jahrbuch «Qualität der Medien» hat ein Problem: Viele Verleger und Journalisten nehmen die Studie nicht ernst und ignorieren sie in ihrer Berichterstattung. Als Grundlage für eine produktive Qualitätsdebatte in den Medien taugt das Jahrbuch deshalb nur bedingt. Das weiss auch Kurt Imhof, das Gesicht zum Jahrbuch und Zielscheibe der Kritik. Nun will der Professor seine Person aus der Schusslinie nehmen.
Vor zwei Jahren reagierte Tamedia-Verleger Pietro Supino persönlich auf die erstmalige Veröffentlichung des Jahrbuchs «Qualität der Medien». In einem über 20’000 Zeichen langen Essay verteidigte Supino die Qualität seiner Presse gegen die «fragwürdigen» Vorwürfe der Wissenschaft. Vor einem Jahr waren es dann die beiden Tamedia-Chefredaktoren Peter Wälty (Newsnet) und Hansi Voigt (20min.ch), die mit Furor gegen die Befunde der Qualitätsstudie anschrieben. Nach der dritten Ausgabe des Jahrbuchs blieb es bisher still bei Tamedia, wie übrigens auch bei Ringier. Alle anderen Medien von AZ bis NZZ berichteten in der einen oder anderen Form über das Jahrbuch.
Als existiere eine Stallorder, schweigen die Tamedia-Blätter. Einzig eine Agenturmeldung ist auf Newsnet rausgerutscht. Weder Tages-Anzeiger, noch Bund und Berner Zeitung hielten die wohl umfassendste Studie zur Medienqualität in der Schweiz für erwähnenswert. Natürlich ist das nur Zufall und die Redaktionen haben nicht auf Geheiss von oben auf eine Berichterstattung verzichtet. Ein Redaktor nennt den geringen Nachrichtenwert der Studie als möglichen Grund für die Funkstille, eine andere Journalistin findet das Jahrbuch schlichtweg langweilig und irrelevant. So unterschiedliche Medien wie NZZ und 20 Minuten liessen sich gar nicht miteinander vergleichen, meint sie. Erst recht nicht, wenn mit einem veralteten Qualitätsbegriff operiert werde, wie ihn das Jahrbuch verwende.
Die Kritik am Qualitätsbegriff des Jahrbuchs ist so alt wie das Projekt selber. Es geht dabei selten um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Methodik. Vielmehr handelt es sich um präventives Sperrfeuer, mit dem Ziel, die Studie in ihrem Kern zu treffen und so ihre Glaubwürdigkeit als Ganzes in Zweifel ziehen. In diese Richtung zielte auch der Verband Schweizer Medien: Ohne das Jahrbuch gelesen zu haben, feuerte er bereits eine Breitseite ab. Man vermisse «ein weiteres Mal eine seriöse und nachvollziehbare Definition des Begriffes Qualität», stand in einer Medienmitteilung zu lesen, die verschickt wurde, als das Jahrbuch noch gar nicht öffentlich verfügbar war.
Urs F. Meyer, Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien, verteidigt das Vorgehen. Die Mitteilung beziehe sich nicht auf das Jahrbuch, sondern nur auf die vorab versandte Zusammenfassung mit den zentralen Befunden. Dort sei keine Definition des Qualitätsbegriffs enthalten. Ein kleinlicher Vorwurf. Umso mehr, als dass er bei der Präsentation der Studie gleich zu Beginn entkräftet wurde. Die Qualitätsformel des Jahrbuchs liest sich einfach und verständlich: «Qualität bemisst sich am Grad der Erfüllung zentraler Funktionen der Medien für den demokratischen Prozess.» Auch wenn nicht alle diesen Qualitätsbegriff teilen mögen, dem Vorwurf fehlender Seriosität und Nachvollziehbarkeit hält er allemal stand.
Jeder Massstab bringt es mit sich, dass er den Untersuchungsgegenstand in ein Oben und Unten oder ein Gut und Schlecht trennt. Entsprechend gibt es gemäss Jahrbuch dann eben auch «qualitätsmindere» Medien. Urs F. Meyer vom Verlegerverband stört das. Er nennt ein Beispiel, weshalb: Boulevardjournalismus bedeutet nicht per se mindere Qualität. Natürlich nicht «per se», aber eben dann, wenn jemand einen Massstab anlegt. Zur Qualität pflegen die Verleger ein taktisches Verhältnis: Wenn es darum geht, Subventionen einzuheimsen, werden die Verleger nicht müde, den unverzichtbaren Beitrag ihrer Medien für die Demokratie und die politische Meinungsbildung zu betonen. Aber wehe es kommt jemand und prüft diese angeblichen Leistungen. Dann gilt plötzlich nur noch der kommerzielle Erfolg als einziger Qualitätsmassstab.
Am Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft fög der Universität Zürich beschäftigen sich insgesamt 60 Leute mit dem Jahrbuch; nicht 60 Vollstellen, aber 60 Köpfe, die mitdenken. Das alleine schützt natürlich nicht vor Fehlern. Im vergangenen Jahr musste sich das fög zurecht Vorwürfe gefallen lassen, bei den Zahlen zu den Online-Medien daneben gegriffen zu haben. Daran entspann sich eine öffentliche Debatte, die zwar auf den einen Fehler fokussierte, aber immer auch das Gesamtbild im Auge behielt. Doch driftete sie immer wieder ab, weil es auch um die Person von Kurt Imhof ging. Der Co-Leiter des fög trat bisher als Gesicht zum Jahrbuchs auf. Auch war er derjenige, der öffentlich auf die Kritik reagierte und fleissig auf Blogs und in Kommentarspalten die Befunde des Jahrbuchs erläuterte und verteidigte.
Nicht zuletzt wegen Imhof stösst das Jahrbuch auf so grosse Ablehnung bei den Medien. Kaum ein Medienschaffender ist auf ihn gut zu sprechen im Zusammenhang mit dem Jahrbuch. Imhof gilt als praxisferner und ideologisch verblendeter Schwarzmaler, der die Schweizer Medienlandschaft mit untauglichen Massstäben vermesse. Auch wenn sich Journalisten und Verlage bisher nur beschränkt gewillt zeigten, auf Grundlage des Jahrbuchs über Medienqualität zu diskutieren, zieht Imhof nach drei Ausgaben eine positive Bilanz. Er spricht gar von einem «gewaltigen Erfolg». Das Jahrbuch erhalte «wesentlich mehr Resonanz in der Gesellschaft als die ganzen millionenteuren nationalen Forschungsprogramme und Forschungsschwerpunkte». Schliesslich zeige sich in der Politik so etwas wie ein parteiübergreifender Konsens darüber, «dass die Medien Probleme haben.» Das sei auch eine Folge der «konfliktakzentuierenden Personalisierung», beobachtet Imhof.
Seit einiger Zeit hat das Pendel umgeschlagen. Die «Kosten-Nutzen-Bilanz der Personalisierung» habe sich in den negativen Bereich verschoben, weiss Imhof. Nun wolle er der Fixierung auf seine Person vermehrt entgegentreten. Auch beim Jahrbuch. Künftig soll Co-Autor Mark Eisenegger als Kopf zum Buch im Schaufenster stehen. In einem Jahr, wenn das vierte Jahrbuch erscheint, wird sich zeigen, ob es Imhof geschafft hat, ins zweite Glied zu treten.
Fred David 02. November 2012, 23:04
Sorry, aber es ist lächerlich, eine solch vielschichtigen Grundsatzdiskussion – bei der es um wirklich viel geht – von einer einzigen Person abhängig machen zu wollen. Das sind Ausreden. Die sonst so geschwätzige Branche (keine Angst: ich zähle mich dazu) ist mundfaul und/oder höselig, wenn’s um eigene Belange geht, die nicht so bequem sind und welche Ideen und womöglich sogar einen wahrnehmbaren Standpunkt erfordern, ausser jenem der überaus bequemen Pauschalablehnung, natürlich.
Kurt Imhof 02. November 2012, 23:33
Die Person wird in ihrer medialen Gestalt überschätzt. Das gängige journalistische Narrativ wiederholt die Verzerrungen der alten Geschichtsschreibung. Frei nach Bert Brecht: Napoleon eroberte Ägypten – hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?“ Auch wenn das Jahrbuch weit davon entfernt ist, irgendetwas zu erobern, muss man sich dieser Personalisierung aussetzen. Im Gegenzug bildet dies denn auch die Rechtfertigung die auch durch Ressentiments geschaffene Medienperson Imhof als Aufmerksamkeitsköder einzusetzen und ihn Hofnarr aus dem Vestibül in die qualitätsdebattenschlaffen Zonen hiesiger Redaktionen hinein brüllen zu lassen: „Journalistinnen und Journalisten aller Medien: Ermannt Euch!“ Und dann und wann auch mal wieder und vor allem weil es so schön passt: „Gratis macht dumm und impotent!“ sowie „Gratis-frisst-Journalismus-auf!“
Vor dem Hintergrund dieser Schlaffheit, hinter der nicht nur eine Struktur- sondern auch eine Orientierungskrise im Journalismus steckt, erachte ich die Rezeption des Jahrbuches als recht erfolgreich. Dies weil es sonst kaum mehr gelingt sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen mediale Resonanz zu verschaffen. Warum das so ist, lässt sich im Jahrbuch nachlesen. Politisch hat das Antiintellektuelle Oberwasser und in der Publikumswahrnehmung der Medien gilt sozial- und geisteswissenschaftliches Orientierungswissen als Quotenkiller.
Indirekt unterstützt durch die in breiten Kreisen und durch viele zivilgesellschaftliche Vereine sowie von ganzen Projektverbünden in der Wissenschaft mitgetragene Sorge um die Entwicklung des Journalismus in der Schweiz entfaltet sich trotzdem eine Debatte, die sich endlich wieder der Qualität der Medien in der Demokratie widmet. Die Medien werden nicht mehr auf Konsumprodukte reduziert und selbst der Verlegerverband sieht sich genötigt, wieder einmal das Q-Wort zu verwenden, auch wenn er seine Qualität der Medien gerade nicht den Bürgerinnen und Bürgern widmet, sondern am Konsumenten orientiert. Frei nach dem Motto: Von einer Rolex erwartet man mehr als von einer Swatch (auch wenn beide nur die Zeit anzeigen). Nur machen es in diesem Fall die einen nicht qualitätsniedriger und die anderen qualitätsbesser (allerdings schaffen es die billigeren Uhren – ganz im Gegensatz zum Mediengewerbe – präziser).
Vinzenz Wyss 03. November 2012, 10:22
Die Ignoranz-Strategie von Tamedia und Ringier ist in zweifacher Hinicht störend (wenn auch durchaus erklärbar):
Zum einen ist Medienkritik nur funktional, wenn Fremdbeobachtung (z.B. durch das Jahrbuch) auch bei den Betroffenen zu Selbstbeobachtung führt. Medienkritik ist also darauf angewiesen, dass sich die Kritisierten damit auseinandersetzen. Mit dem Ignorieren wird das bewusst zu verhindern versucht.
Zum anderen ist die Ignoranz-Strategie auch ein Armutszeugnis, weil sie generell das Selbstverständnis ausdrückt, öffentliche Medienkritik sei per se irrelevant, vor allem dann, wen sie den Betroffenen nicht in den Kram passt.
Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass sich die Gesellschaft nicht darauf verlassen kann, dass Medien sich selbst thematisieren, sobald es weh tut. Der simplizistische Verweis auf scheinbar fehlenden Nachrichtenwert nimmt dann schon mal krankhafte Züge an. Medien beobachten und kritisieren alles, es fällt nur einfach verdammt schwer, sich selbst zu beobachten. Interessant ist aber, dass es einigen dennoch eher gelingt als anderen.
bugsierer 03. November 2012, 16:39
man reibt sich als leser und citoyen verwundert die augen ab dem grossen schweigen der schurnos. eigentlich sollte dieser thread wenigstens mit ein paar dutzend comments von den paar tausend ch schurnos gespickt sein. aber der einzige (und aufs träfste zutreffende) kommtentar eines schurnis ist der vom pensionierten altmeister fred david. hallo?
Klaus Bonanomi 07. November 2012, 11:58
Das Schweigen der „Schurnos“ in den Medien und auch hier in der Diskussion fällt tatsächlich auf… Bin selber einer und hatte die Gelegenheit, mit Kurt Imhof am Tag der Veröffentlichung ein Interview zu führen fürs Rendez-vous auf DRS1. Sogar bei uns im Hause ist die Wahrnehmung des Jahrbuchs bescheiden, obwohl wir von Imhof und seinem Team regelmässig gelobt werden. Der Tenor ist viel zu oft: wen interessiert das schon im Publikum? Aber sehr wohl müsste das zu denken geben, uns als Journis und auch das Publikum, das sich schliesslich auch sehr dafür interessiert, unter welchen Produktionsbedingungen das Essen auf dem Teller und die Kleider im Schrank entstanden sind! Kleiner Gratistipp noch für unsere Berufsgattung: Das Jahrbuch ist auch als Nachschlagewerk sehr gut, wenn es um Daten zu Reichweiten, Werbeerlösen etc geht.
Fred David 07. November 2012, 18:00
„Das Schweigen der Lämmer“ (Teile I-V) ?
Peter Hogenkamp 03. November 2012, 17:52
Nach längerem Suchen fand ich das Buch auf der Website des Verlags: http://www.schwabe.ch/schwabe-verlag/buecher/buchdetails/neuerscheinungen-vorschau/jahrbuch-2012-qualitaet-der-medien-5010/?cHash=317cdde0b964081162b440fdc7978edc. (Die fög-Website hat leider keinen Deep Link hinbekommen.)
Im Tab «Pressestimmen» heisst es: «Zu diesem Titel ist keine Pressestimme vorhanden.»
Auf der fög-Website wie auch im Klappentext-Tab «Beschreibung» des Verlags ist eine Online-Ausgabe erwähnt, die ich aber nicht finde.
Das wäre auch mal eine Innovation für Imhof & Co.: Zu einem modernen Verlag zu gehen, der ihm die Inhalte zeitgerecht aufbereitet. Ich würde Andreas Von Guntens «buch & netz» empfehlen. (Offenlegung: Wir kennen uns.)
Martin Hitz 03. November 2012, 22:11
Ich leihe Dir sonst gern mein Exemplar aus, lieber Peter 😉
Vinzenz Wyss 03. November 2012, 23:10
Ist doch alles nicht nötig, Peter, die Sache ist ja konzentriert im Netz und auf den Social Media Kanälen zugänglich. Der Rest im Buch, das man auch kaufen kann, so wie Angebote der NZZ ;-). Das Teil gehört eh in jede Redaktion, die was von sich hält, so wie jede NZZ Ausgabe in jede Uni.
Mark Eisenegger 03. November 2012, 18:42
Mein Kommentar zu dieser Thematik (zuerst auf Medienspiegel.ch http://bit.ly/Us4pWv ).
Nicht nur die Nullresonanz-Politik der grossen Schweizer Medienkonzerne sticht ins Auge – allen voran aus dem Hause Tamedia -, sondern auch die abgestimmte Kommunikationspolitik: Das neue Jahrbuch Qualität der Medien wird in informellen Gesprächen mit Journalisten etwas gar häufig als “langweilig” etikettiert. Derart viel Zufall gibt es nicht, weder im realen noch im medialen Leben. Dabei kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Jahrbuch-Befunde die Medienzunft wirklich langweilen. Dafür ist das Mediengewerbe viel zu stark auf den Zuspruch und den Entzug von Reputation geeicht. Ein Jahrbuch, das sehr viel sagt zur Reputationsdynamik des eigenen Metiers dürfte sehr wohl interessieren. Zwar ist es richtig: Nicht alle Befunde im neuen Jahrbuch sind neu. Das war allerdings auch nicht zu erwarten, denn die Qualität konnte sich aufgrund der massgeblich qualitätsverursachenden Dynamiken auch nicht grundlegend verändern: Weder hat etwa der qualitätsnivellierende Effekt der Gratismedien online und offline an Bedeutung verloren noch hat die Medienkonzentration nachgelassen. Im Gegenteil: Die Konzentrationsdynamik hat mittlerweile auch den Online-Sektor und mit 20 minuti den Tessin erreicht. Langeweile? Wohl eher bewusste Diskursverweigerung, die man nicht zuletzt aufgrund der bereits weit fortgeschrittenen Medienkonzentration heute sehr viel einfacher von oben verordnen und durchsetzen kann. Noch ein Nachsatz zum Thema „Langeweile“. Dem neuen Jahrbuch kann wiederum detailliert entnommen werden, über welche Themen die verschiedenen Mediengattungen und –typen im 2011 berichtet haben. Das Thema Wahlen beispielsweise hat es im letzten Jahr nicht mal in die Top-20 der Gratiszeitungen geschafft. Mich persönlich elektrisieren solche Befunde!
Noch zur Personalisierungsfrage: Richtig ist, dass die Jahrbuch-Vertretung nach Aussen auf mehr Köpfe abgestützt werden soll. Das ist richtig und nötig bei einer Forschung, die auf einem Team von 60 Forschenden basiert. Warum aber soll Kurt Imhof sich nicht mehr am Diskurs beteiligen? Das wollen wir nicht! Er sorgt für die nötige Resonanz – ja, auch mit dem Mittel der Provokation – aber vor allem mit Beiträgen, die den Diskurs bereichern.
Vinzenz Wyss 03. November 2012, 19:16
@Mark: Ich muss sagen, dass ich auch mit einigen Journalisten darüber gesprochen habe; auch aus der tamedia Gratisabteilung. Ich hab eschon den Eindruck gewonnen, dass dort nicht die Ingoranz-Kampagne die Triebfeder war, sondern tatsächlich die semiprofessionelle Begründung, das JB hätte keinen Nachrichenwert, weil es halt alt Bekanntes thematisiert. Also no news value! Aus der Froschperspektive stimmt das natürlich. Beim JB sind die Folgen ja nicht gross; allein diese Haltung kann schon beunruhigen. Sie erinnert mich an Journalisten, die meinen, die Finanzkrise oder Europa am Abgrund hätten keine journalistische Relevanz, weil sie eben immer weniger ein Abweichen vom Normalen /Erwartbaren darstellen. So versagt ein Frühwarnsystem, das ja auch in der Medienbranche kein Luxus wäre.