Die wahren Web-Kommunisten
Für immer mehr Verleger mutiert Google zum ultimativen Feindbild. Der dreiste Dieb klaue munter wertvolle Zeitungsinhalte, lautet die Klage. Dafür wollen die Verlage gesetzlich garantiertes Geld von Google. Der Ruf nach dem Staat ist die letzte Verzweiflungstat in einer gestörten Beziehung zwischen den Verlierern und dem Gewinner des digitalen Medienwandels.
Ach, wie war das schön in den 1920er-Jahren, als das Radio und das Fernsehen noch in den Anfängen steckten und die Presseverleger sozusagen über ein Medienmonopol verfügten.
Ach, wie war das schön Ende der 1940er-Jahre, als Axel Springer als einer der ersten Verleger der Nachkriegszeit von der britischen Militärregierung Lizenzen zum Drucken von Zeitungen erhielt. Lizenzen zum Drucken von Geld.
Und, ach, wie war das schön in den 1990er-Jahren, als Journalisten noch wochenlang Zeit hatten für eine Story, ein oben offenes Spesenbudget und wenigstens einmal in der Woche Champagnerflaschen köpfen konnten.
Doch The Times They Are a-Changin’. Im Internet sehen sich die vormals nur unter sich selbst konkurrenzierenden Verleger plötzlich im Wettbewerb mit der ganzen Welt, können doch heute alle Websites Werbung schalten. Die Aufmerksamkeit verteilt sich, die Gelder auch. Und dann haben sich auch noch wahrhaftige Giganten herausgebildet, die alle «was mit Medien oder Kommunikation» machen und derzeit ganze Märkte an sich zu reissen scheinen: Amazon, Apple, Facebook, Microsoft, Twitter oder Google.
Google wird von den Presseverlegern derzeit als Hauptfeind identifiziert – lustigerweise, denn eine konkrete Konkurrenzsituation besteht gar keine. Google News, das am ehesten als presseähnliches Produkt durchgehen könnte, verzichtet auf Werbung, generiert gar keine Einnahmen. Journalismus, von den Presseverlegern immer wieder als eigenes Kernprodukt ausgewiesen, gibt es keinen auf Google News – Artikel lesen kann nur, wer auf Links klickt.
Dass Google (wie so viele andere auch) Werbeeinnahmen erzielt, liegt an den Google-Produkten Adsense und Adwords, von denen die Verleger bislang so begeistert waren, dass sie selbst massenweise derartige Anzeigen schalteten (und wohl auch bezahlten). Die rege Nutzung von Google-Produkten hält Verlagsexponenten nicht davon ab, die bei über 90 Prozent der hiesigen Internetnutzern am liebsten benutzte Suchmaschine zu verunglimpfen. Für Axel-Springer-Lobbyist Christoph Keese ist Google sogar «eine Art Taliban» (tatsächlich sagen wollte er: «in diesem Punkt eine Art Taliban»).
Vor drei Jahren nannte Springer-Chef Mathias Döpfner Menschen im Internet «Web-Kommunisten». Auf (von ihm so wahrgenommene) Forderungen aus dem Internet, «nur Gratisinhalte im Internet anzubieten» entgegnete er, das seien «abstruse Fantasien von spätideologisch verirrten Web-Kommunisten». Heute vergleicht er den Suchanbieter Google mit einer «Hehlerbande»: «In Wirklichkeit will Google nur erzkapitalistische Interessen durchsetzen und sein Geschäftsmodell optimieren.» Der Suchkonzern habe «noch nie nach dem Preis gefragt, der uns vorschwebt», jammert Döpfner, der bisher als Verteidiger der Marktwirtschaft aufgefallen war, sich aber mit diesen Äusserungen an die Bettel-Tour der WOZ-Journalisten bei reichen Schweizern anschliessen könnte.
Die Kritik erinnert etwas an Norbert Neininger, der die NZZ-Leser mit dem Fakt überraschte, dass Facebook tatsächlich Geld verdienen wolle. Neininger war einer der frühsten und unerschrockensten Kämpfer gegen Google. Vor dem Start der Google-News-Alternative News1.ch, mit der mehrere Schweizer Verlage Geld in den Sand gesetzt hatten, sagte er 2007 mutig: «Man kann eine erfolgreiche Website wie Google nicht nur bekämpfen, sondern muss auch versuchen, sie mit einer Alternative zu schlagen.» Hat nicht geklappt, nun will auch Neininger Gesetze, um Geld zu verdienen. Wie die zunehmende Unterstützung von Presseverlegern für ein auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenes Leistungsschutzrecht zeigt, hört die Begeisterung für den Kapitalismus offenbar bei vielen dann auf, wenn man selbst nicht mehr richtig viel Geld verdient. Das ist so offensichtlich, dass es sogar der taz auffällt.
Stellen wir uns mal kurz vor, Stimmen aus der Wirtschaft würden mit den gleichen Argumenten, wie sie die Verleger gegen Google vorbringen, von den Presseverlegern Geld einfordern. Zur Veranschaulichung nehmen wir ein Zitat von Norbert Neininger und wandeln es ab. Das könnte dann so klingen:
Die Presseverlage – allen voran die Schaffhauser Nachrichten – verdienen Millionen unter anderem mit unseren Inhalten, also mit einem parasitären Geschäftsmodell. Für die Rückkehr der Vernunft ist es höchste Zeit: Jetzt, wo alle Firmen aufhören, ihr wertvollstes Gut (nämlich die grossen Leistungen ihrer Manager) zu verschenken, müssen wir sicherstellen, dass diese Inhalte auch rechtlich geschützt werden.*
Einspruch? Aber warum denn? Martin Spieler schrieb in der Sonntagszeitung vom 2. Dezember: «Denn es muss klar sein, dass Firmen, die Inhalte gewerblich nutzen, dafür bezahlen.»
Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger soll die mit ein- bis zweizeiligen Snippets agierende Suche im Netz, die den Verlegern kostenlos zuhauf neue Leser heranspült, lizenzpflichtig gemacht werden. Wieso, fragt sich jeder, der klar im Kopf ist. Die Antwort ist: Es gibt keine guten Gründe. Weil Presseverleger im Internet nicht die gleichen Einnahmen erreichen, die sie bisher mit Pressewerbung verdient haben, gehen sie gegen jene vor, die im Internet schöne Einkünfte erzielen. Weil sie keine rechtliche Grundlage dafür gefunden haben, denn anders, als von Presseverlegern und in Printprodukten immer wieder behauptet wird, halten sich Suchmaschinen wie Google durchaus an die Gesetze in Deutschland und in der Schweiz, ja, auch an die Urheberrechtsgesetze. Das gilt, auch wenn Verlegerverbandspräsident Hanspeter Lebrument Suchmaschinen mit mehreren Zitaten in den Dunstkreis der Kriminalität stellt («Abkupfern von Inhalten», «der industriell betriebene Klau von geistigem Eigentum», «Diebstahl von geistigem Eigentum», «Abkupfern von geistigem Eigentum»).
Soll man Marc Walders Worte «Google verdient auf unsere Kosten viel Geld, ohne uns Medien auch nur einen Teil davon abzugeben» besonders lustig oder besonders tragisch finden? Wer solche Sätze sagt, muss damit rechnen, von Wirtschaftsvertretern nur noch bedingt ernst genommen zu werden. Es kann ihnen nur empfohlen werden, bei jeder kritischen Beurteilung der eigenen Leistung von Ringier-Wirtschaftsredaktoren mit dem Satz «Die Konkurrenz verdient auf unsere Kosten viel Geld, ohne uns auch nur einen Teil davon abzugeben» zu antworten. Überhaupt könnten auch Politiker oder Manager von Zeitungen Schutzgelder fordern, verdienen doch Presseverlage Geld mit der Berichterstattung über deren Aktionen und von ihren Zitaten. Wie wäre es mit: «Presseverlage verdienen auf unsere Kosten viel Geld, ohne uns Managern auch nur einen Teil davon abzugeben»?
Eine in diesem Fall sensibilisierte Öffentlichkeit von Journalisten und Bloggern durfte am deutschen Leistungsschutzrecht exemplarisch verfolgen, wie Lobbyinteressen in Koalitionsverträge aufgenommen werden, in Gesetze gegossen werden, vom Kabinett akzeptiert werden und aktuell im Bundestag verhandelt werden. Fassungslos muss man mitansehen, wie ein durchaus lächerliches Gesetz, das im schlechtesten Fall erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugt und im besten Fall wirkungslos bleibt, abseits der Aufmerksamkeit einer grösseren Öffentlichkeit Erfolg um Erfolg einfährt.
Einen konkreten Erfolg konnten die deutschen Presseverleger bereits verbuchen: Google inserierte in Zeitungen für die Kampagne «Verteidige Dein Netz», die auf die Probleme eines Leistungsschutzrechts aufmerksam macht. Weitere Erfolge sind keine zu erwarten: Tritt das Gesetz in Kraft, wird Google kaum Lizenzgebühren zahlen, sondern vielmehr die betreffenden Angebote aus dem Index entfernen (oder sie gesetzkonform verstümmeln, auf Kosten der Benutzerfreundlichkeit). In Belgien haben die Presseverleger das schon mal durchgestanden: vier Tage lang.
Dass die 1998 gegründete Firma Google einfach mal hundertjährige Verlegertraditionen in den Schatten gestellt hat, wollte man 2008 schon nicht akzeptieren, als der Verlag Schweizer Presse mit dem ACAP-Standard (natürlich erfolglos) gegen die breit akzeptierten robots.txt-Dateien kämpfte. Der Ringier-Verlag wollte damit als «politisches Statement» klarstellen, «dass Webseiten nicht einfach urheberrechtsfreie Zonen zur unentgeltlichen Selbstbedienung sind». Intern nutzt Ringier übrigens Google Apps, und zwar in der Schweiz, in Rumänien, in Ungarn, in Vietnam und in China. Die Ringier Axel Springer Media AG nutzt Google Apps in der Schweiz, in Serbien, in Polen, in Tschechien und in der Slowakei.
Einfach das Beste aus der derzeitigen, womöglich vorübergehenden Übermacht von Google zu machen, scheint keine Option zu sein.
* Das Zitat von Norbert Neininger lautet korrekt so: «Die Suchmaschinen – allen voran Google – verdienen Milliarden unter anderem mit unseren Inhalten, also mit einem parasitären Geschäftsmodell. Für die Rückkehr der Vernunft ist es höchste Zeit: Jetzt, wo alle Medienhäuser aufhören, ihr wertvollstes Gut (nämlich die grossen Leistungen ihrer Redaktionen) zu verschenken, müssen wir sicherstellen, dass diese Inhalte auch rechtlich geschützt werden.»