«Es gibt keine Alternative»
Per Ende Jahr tritt Martin Kall als CEO von Tamedia zurück. Nach zehn Jahren an der Spitze der Unternehmensleitung wechselt er in den Verwaltungsrat des Zürcher Medienunternehmens. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE blickt Kall zurück auf die Entwicklung Tamedias von einem «bedeutenden KMU» zum gesamtschweizerischen Medienhaus, die er mit Akquisitionen und Kooperationen massgeblich vorangetrieben hat. Für die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre, die Kommerzialisierung der mobilen Mediennutzung, kennt Kall kein Rezept. Er weiss nur, dass daran kein Weg vorbeiführt.
MEDIENWOCHE: Derzeit wird wieder einmal heftig und teils aufgeregt über die Zukunft der Zeitung und der Medien überhaupt debattiert. Gibt es irgendetwas, was dazu noch nicht gesagt wurde?
Martin Kall: Was mir auffällt, ist ein viel zu grosser Pessimismus in der Branche. Dabei wäre doch eigentlich Optimismus nötig. Gerade wenn man einmal zurückliegt in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Ausserdem sollte man nicht von Einzelfällen, wie nun der Einstellung der Financial Times Deutschland oder der Insolvenz der Frankfurter Rundschau, aufs Ganze schliessen.
Wie erklären Sie sich diese notorisch pessimistische Haltung in weiten Kreisen der Branche?
Wir leben davon, dass wir viele Menschen beschäftigen, die sehr sensibel auf Veränderungen reagieren, die Themen aufspüren, bevor sie überhaupt allgemein wahrgenommen werden. Das gehört zum Journalismus, wie auch ein ausgeprägtes Interesse an Dingen, die schlecht laufen. Ich bin aber überzeugt, dass das Thema Zeitungskrise in ein paar Wochen wieder vom Tisch ist.
Was die Branche wohl noch eine Weile beschäftigen wird, ist die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Würden Sie sich für ein solches Gesetz ins Zeug legen?
Zunächst einmal bin ich der Meinung, dass es viel grundlegendere Themen gibt im Bereich unserer zukünftigen digitalen Geschäftsmodelle als neue Gesetze. Überall, wo wir versuchen, den Staat zu Hilfe zu rufen, ist meine Erfahrung gewesen, dass es im Endeffekt erhebliche Nachteile mit sich bringt. Das Verhältnis zu Google müsste viel mehr unter dem Blickwinkel des Wettbewerbsrechts betrachtet werden und weniger des Urheberrechts. Missbraucht Google seine dominante Marktposition?
Welches Verhältnis hat Tamedia zu Google?
Natürlich ist uns auch bewusst, dass Google eine Dienstleistung erbringt, die Menschen in aller Welt als unersetzlich anschauen. Aber gleichzeitig spüren wir gerade im Werbemarkt den enormen Druck, der für digitale Geschäftsmodelle von Google ausgeht. Das macht uns in Teilen auch grosse Sorgen.
Wenn Sie Google des Monopols bezichtigen, so könnte man das in gewisser Weise ja auch von Tamedia behaupten mit seiner dominanten Stellung in der Schweiz.
Das lässt sich so natürlich nicht vergleichen. Wir haben uns sehr frühzeitig gefragt, was liegt im Interesse dieses Medienmarktes Schweiz. Die Wettbewerbskommission hat in all den Jahren, in denen ich hier war, in jedem einzelnen Fall das Dossier sehr genau geprüft. In einem Fall, als sich Espace Media an 20 Minuten beteiligen wollte, hat sie uns das untersagt. Wir sind dann bis zum Bundesgericht und haben dort mit einer einzigen Auflage die Genehmigung erhalten. Das Wettbewerbsrecht ist aber nur die eine Seite. In einem Land, das so dezentral ist und kulturell vielfältig, wie die Schweiz ist, wird derjenige, der stark ist, besonders genau beobachtet. Und das ist für uns mindestens genauso wichtig.
Vor zehn Jahren haben Sie Tamedia als «bedeutendes KMU» beschrieben. Heute stehen sie einem Konzern vor. Was ist vom KMU geblieben?
Es geht um den Spirit. Wenn das Unternehmen so gross ist, dass es sich in einem Teilbereich von seinen Märkten, von seinen Mitarbeitenden entfernt, an Schnelligkeit verliert – das assoziiere ich mit dem Begriff Konzern. Das wollen wir vermeiden. Eine Riesenstärke von Tamedia ist die Familie, die das Unternehmen mehrheitlich besitzt. Ein Eigentümer, der tagtäglich selber im Unternehmen ist, unser Verwaltungsratspräsident Pietro Supino. Dadurch können wir schnell entscheiden.
Ihr Vorgänger, Michel Favre, bezeichnete seine Amtsdauer als «eine Zeit, in der sich Tamedia grundlegend verändert hat». Von Ihren zehn Jahren kann man das erst recht sagen.
Ganz wichtige Dinge haben sich auch in meinen zehn Jahren nicht verändert. Denn wir bauen ja auch auf die Stärken unserer DNA.
Was macht Tamedia im Kern aus?
Das ist zum Beispiel die Verankerung im politischen Journalismus mit traditionsreichen Medien, «24 Heures» hat in diesem Jahr den 250. Geburtstag gefeiert. Aus diesen Hauptmedien haben sich viele andere Aktivitäten entwickelt. Die Überzeugung, dass wir in diesem politischen System eine wichtige Rolle und Funktion wahrnehmen, zählt auch zu unserer DNA. Wie auch die Überzeugung, dass wir als privates Unternehmen diese Dienstleistung aus eigener Kraft und nicht mit Hilfe des Staates erbringen. Daran hat sich überhaupt nichts geändert in all den Jahren. Eine Veränderung, die ohne Rücksicht auf die Tradition erfolgt, ist immer gefährlich und sollten wir möglichst meiden.
Sie sagten schon vor längerer Zeit, die Zeitungsbranche in der Schweiz sei keine Wachstumsbranche – um kurz darauf mit Espace Media und Edipresse zwei grosse Zeitungshäuser zu kaufen.
Auf den ersten Blick mag das als Widerspruch erscheinen. Auf den zweiten hoffentlich nicht. Schon Anfang der 1990er Jahre war klar, dass der Zeitungsmarkt nicht mehr wachsen wird. In einem solchen Markt gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder den Markt verlassen oder die eigene Marktposition stärken, um dem Druck zu begegnen, der in einem rückläufigen oder stagnierenden Umfeld automatisch entsteht. Das Zweite war unsere Antwort.
Ist die Investition ins Zeitungsgeschäft nicht einfach die Akkumulation eines Klumpenrisikos?
Eine Strategie, mit der man Schwerpunkte setzt, führt automatisch zur Frage: Neigen wir vielleicht zu stark in eine Richtung? Aber ich glaube, Tamedia ist auf die strukturellen Veränderungen in diesem Markt gut vorbereitet. Die Hauptherausforderung in den nächsten Jahren wird das digitale Geschäft sein. Wird es uns gelingen, neben der Pflege des Printmediengeschäfts hier einen Bereich zu entwickeln, der substanziell zur Zukunft und Gesundheit von Tamedia beiträgt?
Beim digitalen Geschäft hofft nun die Zeitungsbranche auf den Erfolg von Bezahlmodellen mittels Paywall. Weshalb erst jetzt?
Wir haben zwischen 2005 und 2011 erheblich in unsere kostenlosen Online-Angebote von Newsnet und 20min.ch investiert und jedes Jahr unsere durchaus ambitionierten Businesspläne übertroffen. Wir hatten sogar zweistellige Umsatzrenditen im Online-Bereich. Dann kam der durchschlagende Erfolg der Smartphones. Die Zahl der Desktop-Nutzer stagniert oder ist sogar leicht rückläufig und die mobilen Nutzer fangen an, die Desktop-Nutzer zu überholen. Mittelfristig heisst das, dass wir für die bezahlten Zeitungen digital eine zweite Erlösquelle finden müssen. Und die Paywall ist jetzt unser Weg dorthin.
Aber «20 Minuten Online» bleibt gratis?
Ja, bei einem reichweitenstarken Medium wie «20 Minuten» besteht eine gute Chance, auch langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Bei den anderen Newsportalen steht der Erfolg beim Publikum im Kontrast zur kommerziellen Entwicklung.
Woher soll das Geld kommen?
Das ist die entscheidende Frage. Wir haben noch kein funktionierendes Modell gefunden. Aber wir sind zuversichtlich. Beim Desktop haben wir auch lange von vielen in der Branche gehört, dass die Umsätze nicht kommen. Nun haben wir sie und erst noch in einem äusserst erfreulichen Rahmen. Mit Online-Anzeigen erreichen wir heute vergleichbare Umsätze wie mit Zeitungsinseraten. Bei der mobilen Nutzung sind wir aber noch um den Faktor zehn schlechter. Wir müssen nun eine gewisse Geduld aufbringen und den Werbekunden dieses Medium erklären.
Sie erlebten in Ihrer Zeit an der Spitze von Tamedia fette Jahre und auch magere. 2003 war ganz schwach. Stimmt das Gerücht, dass sie nach dem schwachen Ergebnis auf den Lohn verzichtet hatten?
(lacht) Nicht auf den Lohn, so weit bin ich nicht gegangen. Der Verwaltungsrat und ich haben uns damals bewusst gesagt, wir müssen einen Beitrag leisten und haben unser Grundgehalt um zehn Prozent reduziert. Wir hätten diese Reduktion auch verlängert, wenn wir nicht schon 2004 wieder ein anständiges Ergebnis erzielt hätten.
Sind Sie eine sparsame Person?
Das bin ich auf jeden Fall. Nicht dass ich mir das asketisch auferlegen müsste. Ich habe einfach mehr Freude daran, ein Buch zu lesen oder mit Freunden zusammen zu sein, Sport zu treiben, als einkaufen zu gehen. Wenn ich auf Geschäftsreisen bin, versuche ich sparsamer zu sein, als wenn ich privat unterwegs bin. Das sind wir als Angestellte auch denjenigen schuldig, für die wir arbeiten und mit deren Geld wir umgehen. In einer Branche, die so unter Druck steht wie die unsere, steht eine gewisse Sparsamkeit allen gut an. Das bewundere ich an der Schweiz, dass viele Führungskräfte in allen Bereichen der Gesellschaften, ja sogar Bundesräte äusserst bescheiden auftreten. Das ist nicht nur wirtschaftlich eine vernünftige, sondern auch eine sympathische Haltung.
Sie sind ja nicht nur als Privatperson für Sparsamkeit bekannt, sondern auch als Tamedia-Chef. Gerade im redaktionellen Bereich haben sie einige Male im grossen Stil Stellen abgebaut.
Das ist eindeutig so, wir haben viele schmerzliche Schritte machen müssen, und zwar nicht nur in den Redaktionen, sondern viel stärker in Verlagen und Druckereien. Wir haben uns auch von Aktivitäten getrennt und dafür gute Lösungen gefunden. Zum Beispiel mit den neuen Eigentümern für unsere Radio- und Fernsehsender, die wir verkauft haben.
Vielen Medienschaffenden in schlechter Erinnerung ist die Entlassung von 52 Journalisten beim Tages-Anzeiger im Mai 2009.
Für eine stolze Redaktion war das natürlich ein erheblicher Einschnitt. Und den durchzusetzen in einer solchen Institution ist immer sehr schwierig. Wir, auch ich hätten das zudem kommunikativ besser unterstützen können.
Was viele Journalisten nicht verstehen, sind die hohen Renditeerwartungen in einem Geschäft, das eigentlich in erster Linie der Öffentlichkeit verpflichtet sein sollte.
Um unabhängig zu bleiben und nicht in die Fänge des Staats oder von Unternehmen mit anderen als publizistischen Interessen zu geraten, braucht es zuerst die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die verlangt dann halt, dass man am Ende solche Entscheidungen trifft. Das ist manchmal notwendig, muss aber auf eine anständige Art erfolgen, beispielsweise mit einem Sozialplan. Aber was ich auch sagen muss: Tamedia hat heute immer noch die personell am besten dotierten Redaktionen der Schweizer Medien. Ich könnte das in jeder Kategorie belegen.
Stossend ist doch vor allem, dass ein kerngesundes Unternehmen, das zweistellige Umsatzrenditen ausweist, massenweise Journalisten entlässt.
Das ist kein Widerspruch. Denn auch jemand der gesund ist, geht zur Vorsorge und handelt auch, bevor es zu spät ist.
Es gibt aber kein Naturgesetz, das besagt eine zweistellige Profitmarge zu erzielen.
Wenn Sie Zweidrittel ihres Umsatzes auf dem Werbemarkt erwirtschaften und wenn es ein konjunktursensibles Geschäft ist, dann sind sie in einer Krise ganz schnell bei null. Man braucht ein gewisses Sicherheitspolster.
Spielt die weitverzweigte Eigentümerfamilie eine Rolle als Profittreiber?
In keiner Weise. Auch andere Medienunternehmen, mit denen wir uns vergleichen, etwas Schibsted oder Axel Springer, erbringen diese Leistung. Das ist absolut notwendig.
Im Mai 2011 kündigten sie an, in den nächsten zwei Jahren 200 neue Stellen schaffen zu wollen in den digitalen Medien, ein Grossteil davon in den Redaktionen. Dieses Ziel haben sie kürzlich nach unten korrigiert. Weshalb?
Wir haben die Investitionen wie geplant vorgenommen, aber weitere Ausbauschritte unterlassen, weil die Umsätze der News-Sites zu stagnieren begannen, obwohl unsere Nutzerzahlen weiter explosionsartig angestiegen sind. Bei den Display-Anzeigen ist es sogar so, dass die Umsätze genau so rückläufig sind wie bei der Print-Werbung. Wir sind hier mitten in einer Digitalrevolution. Wir erleben eine wiederholte Veränderung des Marktes. Eine hohe Agilität und die Bereitschaft zu sagen, jetzt ändern wir etwas, ist dabei wichtig.
Das heisst aber auch: Wenn die Mobile-Werbung nicht anzieht, wird es wiederum zu schmerzhaften Einschnitten kommen.
Wichtig ist nun, dass wir uns bewusst werden, welche Veränderungen vor sich gehen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass unsere starken Medienmarken, die für Nachrichtenkompetenz und Hintergrund stehen, ein Leben im Digitalen haben. Wir spüren ja, dass die Nutzer das wollen! Es gibt keine Alternative dazu. Wir müssen einfach den Mut haben, zu experimentieren.
Bei Tamedia scheint mir die Experimentierfreude aber nicht besonders ausgeprägt zu sein.
Wir überlegen uns die Dinge sehr, sehr genau, aber wir haben in den letzten Jahren sehr mutig investiert in Dinge, an die kein Mensch geglaubt hatte. Ob dies nun die Pendlerzeitung ist oder eine Investition in Doodle. Unser Mut war erheblich, aber auch die Bereitschaft zu sagen, das ist jetzt anders gelaufen und nicht so gut, wie wir uns das gedacht haben, das machen wir falsch. Dann korrigieren wir es.
Übernehmen ist immer noch einfacher als selber erfinden. Wann ist die Basler Zeitung an der Reihe, wo ja mit Rolf Bollmann ein CEO an der Spitze steht, der immer noch für seinen alten Arbeitgeber Tamedia tätig ist?
Wir haben nie ein Interesse daran gehabt, die Basler Mediengruppe zu übernehmen und sie hat uns auch kein Kaufangebot unterbreitet. Seit drei, vier Jahren arbeiten wir ganz bewusst mit anderen Medienunternehmen zusammen, mit dem Ziel, dass sie selbständig bleiben. Ein Beispiel ist Basel, ein anderes das Bieler Tagblatt. Für das Bieler Tagblatt drucken wir die Zeitung und arbeiten auch redaktionell und bei den Stelleninseraten zusammen. Wir haben die Freiburger Nachrichten gestärkt, indem wir ihnen den Murtenbieter und den Anzeiger von Kerzers gegeben haben. Wir sind am Zürcher Oberländer beteiligt mit 37 Prozent. Wir hätten ein Leichtes tun und versuchen können, alle Aktien zu kaufen. Wir haben das ganz bewusst nicht getan.
Mit welcher Strategie geht Tamedia in die Zukunft?
Die Medienlandschaft kann nur vielfältig bleiben, wenn man in Teilbereichen, die für das einzelne Unternehmen nicht von existenzieller Bedeutung sind, klug zusammenarbeitet. Viele mittelgrosse Schweizer Medienunternehmen machen den fatalen Fehler, immer noch Industriekapazitäten im Druck aufrechtzuerhalten. Diese Unternehmen sollten in ihre redaktionelle Kompetenz investieren, in die Werbevermarktung und das Lesermarketing. Alles andere sollten sie demjenigen Partner übertragen, der ihnen die beste Dienstleistung anbietet. Wenn die Basler Mediengruppe das beherzigt, hat sie eine langfristige Perspektive.
Daraus höre ich: Der Druckauftrag der BaZ ist so gut wie bei Tamedia und die Druckerei in Basel kann abgewickelt oder veräussert werden.
Da müssen wir zuerst einmal sehen, was die Eigentümer mit der Druckerei machen wollen. Wir hoffen natürlich, dass wir der leistungsfähige Partner sind. Das war immer unsere Stärke in der Zusammenarbeit mit den Baslern, deshalb hat sich diese Zusammenarbeit unter verschiedensten Eigentümern über Jahre gehalten. Das hat uns wahrscheinlich unterschieden von allen anderen, die immer nur das Ziel hatten, alles besitzen zu wollen.
Ein wichtiges Geschäftsfeld, bei dem Tamedia gleichsam zum Erfolg verdammt ist, ist der Stellenmarkt mit jobs.ch. Tamedia hat dafür zusammen mit Ringier 400 Millionen Franken ausgegeben. Ärgert es Sie, dass jobs.ch vor ein paar Jahren für einen Bruchteil des heutigen Kaufpreises erhältlich gewesen wäre?
Wir wurden damals gefragt und hätten die Möglichkeit gehabt, zu kaufen. Aber wir hatten keinerlei positive Erfahrung mit Online-Märkten. Ausserdem waren wir mit der Akquisition von Espace Media beschäftigt. Und schliesslich sollte man nicht mit Dingen hadern, die hinter einem liegen, sondern daraus die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen. Wir haben einmal unterschätzt, welches Potenzial jobs.ch hat. Beim zweiten Mal ergreifen wir deshalb die Möglichkeit.
Sie bleiben der Tamedia als Verwaltungsrat erhalten. Droht ihnen da nicht langweilig zu werden nach einer so langen Zeit mit operativer Verantwortung?
Die Befürchtung gibt’s schon auch. Vor allem bei meiner Frau, die sich fragt: Was macht der nun mit all seiner Zeit und Energie. Ich versuche sie zu beruhigen. Wir werden dann sehen, ob mir das wirklich fehlt. Ich überlege auch, mich an ein, zwei Unternehmen selbst zu beteiligen, um auch die Freude am selber machen zu erleben.
Was war eigentlich der Grund dafür, dass sie sich vor eineinhalb Jahren entschieden hatten, als CEO aufzuhören?
Ich kann ehrlich gesagt nicht begründen weshalb. Irgendwie habe ich mir das immer so vorgestellt, dass ich mit 50 aufhöre zu arbeiten, jetzt bin ich 51. Ausserdem kann man nicht als Führungsperson von seinen Mitarbeitern Flexibilität fordern und dann selbst ewig an seinem Stuhl kleben.
Für Ihren Nachfolger, Christoph Tonini, wird es nicht ganz einfach, wenn sein Vorgänger im Verwaltungsrat sitzt und gewissermassen einer seiner Vorgesetzten ist. Haben Sie das Verhältnis zu ihm geklärt?
Ich habe sowohl den Verwaltungsrat als auch den Verleger wie auch meinen Nachfolger mehrmals gefragt, ob sie es wirklich für einen Gewinn halten, wenn ich in den Verwaltungsrat wechsle. Bisher gab es immer ein eindeutiges Votum, dass sie mich weiterhin an Bord haben wollen. Wenn es aber nicht funktioniert, werde ich das sofort korrigieren.
Als Aussenstehender könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie in den zehn Jahren an der Spitze von Tamedia praktisch alles erreicht haben, was sie erreichen wollten. Welches war ihre grösste Niederlage?
Die Frage erinnert mich an diese schrecklichen Fernsehsendungen, wer ist der grösste Schweizer, wer ist der Sportler des Jahres. Ich habe mir angewöhnt, auf diese Frage nicht mehr zu antworten. Denn es wäre unnatürlich zu glauben, dass es für Niederlagen so etwas wie ein Ranking gibt.
Es gibt aber bestimmt Momente, an die sie sich weniger gerne zurückerinnern.
Am schwersten waren für mich die Momente, in denen wir erhebliche Restrukturierungen durchführen mussten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir den Zeitschriftenbereich halbierten und sehe noch die Gesichter der Mitarbeiter vor mir. Auch Tele Züri gehört dazu. Ich war viel mit Markus Gilli und Andreas Meili unterwegs, um für den Sender zu kämpfen. Wenn dann Regierungsräte und Stadträte Tele Top den Vorzug gaben, ohne dass sie den Sender je geschaut hatten, wie mir dies ein Politiker sagte, dann empfinde ich das für diejenigen als eine Ohrfeige, die sich über Jahre in einem schwierigen Geschäft gegen eine übermächtige Konkurrenz aus dem In- und Ausland erfolgreich gewehrt haben.
Aber im Nachhinein hat es sich als Glücksfall herausgestellt, dass Tele Züri ohne Konzession senden kann.
Das stimmt. Aber das zeigt, wie wir das Beste aus einer Situation machen und immer nach vorn schauen. Es ärgert mich aber als jemand, der in diesem Land wohnt, dass ein demokratischer Prozess zu einem so absurden Ergebnis führen konnte.
Das Geschäftsgebaren von Tamedia wäre durchaus geeignet, sich rundum Feinde zu schaffen. Es scheint aber das Gegenteil der Fall zu sein. Sie kommen mit praktisch allen der Branche gut aus, sind zum Teil sogar befreundet mit Konkurrenten und potenziellen Übernahmeopfern. Wie machen Sie das?
Das ist wie im Sport. Die Kunst ist es, im Wettbewerb mit Engagement, Entschlossenheit und Kreativität aufzutreten, aber dabei immer die Spielregeln einzuhalten. Nicht wenn der Schiedsrichter wegschaut, in die Beine treten. Wir teilen ja alle die gleiche Freude an diesem Spiel. Beim Sport macht es ja auch mehr Spass, wenn der Gegner auf eine tolle Leistung stolz ist. Es ist nicht lustig gegen jemanden anzutreten, der nichts zustande bringt. Diese Überzeugung ist wesentlich. Man sollte sich selbst ausserdem nicht so fürchterlich ernst nehmen. Viele Medienleute nehmen sich und das, was wir tun, viel zu ernst. Einen gewissen Spass dran zu haben und über sich selbst lachen zu können, ist entscheidend, tut gut – und das spürt dann auch der andere.