Medienjournalismus als Blockadebrecher
Die Diagnose ist bekannt und Abhilfe keine in Sicht: Medienwissenschaft und Journalismus verstehen sich nicht. Eine Mittlerrolle könnte der Medienjournalismus einnehmen. Erfahrungen der MEDIENWOCHE stimmen nicht optimistisch, aber es gibt Wege aus der Blockade.
Trotz der tiefen Kluft, die zwischen Medienwissenschaft und Journalismus klafft (siehe NZZ vom 9.4.), gibt es doch immer wieder Versuche, den Graben zu überwinden; in den nächsten Tagen und Wochen gleich zweimal. Am kommenden Freitag und Samstag widmen die Mitglieder der Schweizerische Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft SGKM, die Crème de la crème der Branche, an ihrer Jahrestagung der «Transdisziplinarität in der Kommunikations- & Medienwissenschaft». Nur zwei Wochen später widmet sich eine ebenso prominent besetzte Veranstaltung, organisiert von der «Gottlieb und Hans-Vogt-Stiftung», dem Dialog zwischen Journalismus und Medienforschung.
In einem zentralen Punkt unterscheiden sich die beiden Veranstaltungen allerdings stark voneinander. Bei der SGKM bleibt die Wissenschaft weitgehend unter sich. An der «Brückenschlag-Tagung» dagegen sind Forscher und Journalisten paritätisch vertreten. Man könnte nun die Übungsanlage der ersten Veranstaltung skandalisieren und den Organisatoren genau jene Praxisferne vorwerfen, die sie mit ihrer «transdisziplinären Forschung» eigentlich zu überwinden vorgeben. Allerdings sollten solche Tagungen auch nicht überbewertet werden, dienen sie doch primär dem sozialen Austausch und zeitigen selten langfristig messbare Ergebnisse.
Wichtiger als punktuelle Ereignisse sind deshalb Strukturen, die kontinuierlich an der Annäherung von Medienwissenschaft und Journalismus arbeiten. Eine Pionierrolle muss hierbei der Medienjournalismus spielen, der kompetent und in Äquidistanz zu beiden Seiten auftreten kann. Die Voraussetzungen dafür sind heute nicht ideal. Aus verschiedenen Gründen:
- Der Medienjournalismus in Publikumsmedien hat die Wissenschaft weitgehend aus dem Blickfeld verloren. Selbst Fachmedien (dazu zählt auch die MEDIENWOCHE) berichten nur marginal über die Medienforschung, gemessen an der Berichterstattung über ähnlich relevante Themenfelder.
- Der Hang zum Pauschalurteil («praxisferne Wissenschaft», «stereotype Urteile», etc.), verstellt mitunter auch erfahrenen Medienjournalisten den Blick auf den Facettenreichtum des Forschungsbetriebs.
- Meinungsstarke und medienprominente Figuren werden Pars pro toto als «die Medienwissenschaft» missverstanden.
- Die Medienforschung wiederum bestätigt das Bild einer sich selbst genügenden Wissenschaft, wenn sie ernst gemeinte Dialogangebote und -plattformen ignoriert. Obwohl die Mitarbeitenden einer Abteilung des Instituts für Publizistikwissenschaften und Medienforschung der Uni Zürich bei der MEDIENWOCHE Gastrecht geniessen, lassen sie das Angebot seit Längerem kommentarlos ungenutzt.
- Die Hektik des globalisierten Wissenschaftsbetriebs mit Konferenzen und Publikationsmöglichkeiten rund um den Erdball schafft Sachzwänge, die das Zeitbudget des akademischen Personals arg strapazieren: Wer hier dabei war, muss auch dort präsent sein. Praktische Transferprojekte verkommen zur lästigen Pflichtübung.
Ein Schlüssel zur Überwindung der Blockade aufseiten des Medienjournalismus liegt in vermehrter Neugier und Offenheit. Auch Medienjournalisten (die MEDIENWOCHE eingeschlossen) bewegen sich auf ausgetretenen Pfaden und pflegen zuerst ihre Gärtchen. Dabei bietet die Wissenschaft einen immensen Pool an Fachwissen, Zahlen und Daten, den es nur anzuzapfen gälte. Die kontrovers diskutierten Aussagen der Forschung zur erodierenden Medienqualität machen nur einen Bruchteil dessen aus, was Medienwissenschaftler zu sagen haben. Ausserdem dreht das Personenkarussell auch im akademischen Betrieb. Neue Figuren tauchen auf, andere treten ab. Umso erstaunlicher ist es, dass weiterhin nur die üblichen Verdächtigen als valable Auskunftspersonen gelten.
Wenn etwa ein Prof. Dr. Michael Latzer, der an der Uni Zürich die Abteilung «Media Change und Innovation» leitet, in den letzten zwei Jahren gemäss SMD weniger als zehnmal in Publikumsmedien erwähnt wird, dann stimmt etwas nicht. Nun ist es ja nicht so, dass der Medienwandel kein Thema wäre. Lieber zitieren aber Journalisten irgendwelche Studien aus den USA, anstatt das Fachwissen der heimischen Forscher anzuzapfen. Aufgabe des Medienjournalismus müsste es sein, hier das Terrain zu ebnen, weniger bekannte Figuren aus dem Wissenschaftsbetrieb ins Licht rücken. Mit der Machete neue Pfade durch den Dschungel der Institute und Forschungsprojekte schlagen, damit weitere Journalisten folgen können.
Damit diese Annäherung gelingt, müssen aber auch die Medienwissenschaften einen Schritt auf den Journalismus zumachen. Sie sollten vermehrt Übersetzungshilfen bieten, damit ihre Forschungsergebnisse auch Nichtakademiker verstehen. Umfang und Sprache wissenschaftlicher Arbeiten sind selbst für mit der Materie vertraute Journalisten oft nur schwer verdaubar. Ausserdem dürften die Universitäten und Institute ihre Kommunikationsanstrengungen durchaus intensivieren. Eine Suche im elektronischen Postfach der MEDIENWOCHE fördert keine einzige Mitteilung einer Hochschule zutage.
Das sind zugegebenermassen nur kleine Schritte, die der teils tiefliegenden Verachtung mit der sich Wissenschaft und Praxis begegnen, nur geringfügig entgegenzuwirken vermögen. Aber gerade weil es sich nicht um einen spektakulären Masterplan handelt, stehen die Chancen auf Realisierung umso besser. Alles, was die Blockade aufzuweichen vermag, ist zuerst einmal gut.