Journalismuspreis für Ex-Journalist
Wie bitte? Ein hoch dotierter Journalismuspreis für einen Mediensprecher. Was auf den ersten Blick nach postmoderner Begriffsverwirrung aussieht, zeigt sich als ernstgemeinte Auszeichnung für die Recherche zum Rohstoffplatz Schweiz der NGO «Erklärung von Bern»; der Pro-Litteris-Förderpreis geht an Oliver Classen.
Im Prinzip ist es ganz einfach: Mit einem Journalismuspreis werden Journalisten für herausragende publizistische Leistungen ausgezeichnet. Für andere Bereiche der öffentlichen Kommunikation gibt es auch Trophäen, aber das sind keine Journalismuspreise. Wenn ein NGO-Sprecher einen Preis erhält, kann man davon ausgehen, dass er für besonders gewiefte und gelungene PR-Leistungen gewürdigt wird. Nicht so in diesem Fall.
Zum dritten Mal vergibt der Kulturfonds der schweizerischen Urheberrechtsgesellschaft Pro Litteris einen Preis. 2014 kommt erstmals der Journalismus zum Zug, nachdem in den Jahren zuvor Literatur, sowie Kunst und Fotografie ausgezeichnet wurden. Die beiden Hauptpreise erhalten in diesem Jahr die Journalisten und Autoren Al Imfeld und Viktor Parma. So weit so normal.
Die beiden Preisträger wiederum vergeben im Namen von Pro Litteris einen Förderpreis. Und hier folgt die Überraschung: Nicht ein Journalist, sondern der Ex-Journalist Oliver Classen erhält die Auszeichnung. Seit acht Jahren arbeitet der frühere Redaktor von Handelszeitung und Werbewoche als Mediensprecher der entwicklungspolitischen NGO «Erklärung von Bern», hat also die Seiten gewechselt. Dennoch loben ihn Imfeld und Parma, die ihn gekürt haben, als «engagierten Journalisten» und verweisen zum Beleg für ihr Urteil auf die Publikation «Rohstoff: Das gefährlichste Geschäft der Schweiz», an der Classen massgeblich mitgearbeitet hat. Während andere Kollegen die Nase rümpfen bei der Anwesenheit Classens in Journalistenkreisen, adeln nun zwei respektierte Berufsleute seine Arbeit als «eine genuin journalistische Leistung».
Wie ist diese überraschende Auszeichnung einzuordnen? Die Journalisten Al Imfeld und Viktor Parma teilen und stützen mit ihrer Wahl die Argumentation Classens, wonach heute Journalismus nicht mehr (und nicht ausschliesslich) dort ermöglicht wird, wo Journalismus draufsteht. Die Medienkrise habe Classen, wie andere auch, «zu einem Grat- und Grenzgänger» gemacht, schreiben Imfeld und Parma. Das heisst aber auch, dass permanent Absturzgefahr besteht und Grenzen übertreten werden können. Dessen muss sich ein Mediensprecher, der im Namen seiner NGO journalistisch arbeitet, umso stärker bewusst sein.
Eine Lobbyorganisation, die mit Rechercheleistung punkten will, muss den Verdacht der interessengeleiteten Parteilichkeit glaubhaft widerlegen können. Denn ein Misstritt würde einen erheblichen Reputationsschaden nach sich ziehen. Letztlich entscheidet die (Fach)Öffentlichkeit aufgrund der vorgelegten Fakten und ihrer Interpretation, ob eine Recherche glaubwürdig und verlässlich erscheint, oder ob es sich doch nur um verkappte Propaganda handelt, die sich zum Schein ein journalistisches Mäntelchen umgehängt hat. Diesen Test hat das Werk bestanden.
Dennoch haftet dem Preis ein Makel an. Wie man es auch dreht und wendet: Ein Mediensprecher ist kein Journalist. Er kann zwar journalistisch arbeiten, wie Figura zeigt, aber er erfüllt hauptsächlich eine Reihe weiterer Aufgaben, die einem journalistischen Berufsverständnis teils diametral entgegenlaufen. Das Dilemma einer Jury ist es nun, dass sie nicht ein Werk als Werk auszeichnen kann, sondern nur die Köpfe dahinter. Im vorliegenden Fall wäre es aber klüger gewesen, dem Autorenteam der Rohstoff-Recherche den Preis zu verleihen und nicht einer Einzelperson. Denn zur «genuinen journalistischen Leistung» für die Oliver Classen nun den Pro-Litteris-Förderpreis erhält, haben insgesamt neun Personen beigetragen.
oliver brunner 08. April 2014, 15:42
Journalistenpreise werden in der Regel unter Arbeiten ausgewählt, die Journalisten eingeschickt haben. Gute Journis sind am recherchieren, andere wiederum senden ihre Texte an alle Stellen, die Preise zu vergeben haben. Mit dem Geld wollen viele ihr Gehalt aufbessern, was vielerorts auch gerechtfertigt ist. Sozusagen ein genuines Bedürfnis.
Frédéric Lassalle 08. April 2014, 16:41
Die Jury-Zusammensetzung ist auch noch – comment dire? – interessant: C. Seibt (ex WOZ, heute Tagi). Lotta Suter (WOZ, Work; hat eine Biografie über den Preisträger Al Imfeld geschrieben – man hilft einander). Gerhard Lob (Deutscher, der als freier Journalist auf Radio DRS über das Tessin berichtet, offenbar gibts keine Schweizer, die das können). Marie-Pierre Genecand (Kulturredaktorin bei Le Temps). Die Frage der Unabhängigkeit darf gestellt werden. Und im Rohstoffgeschäft kennen sich Journalisten ebenso wie Politiker bekanntlich besonders gut aus. Bref, nichts Neues in der kleinen Schweizer Medienwelt.
Jak 08. April 2014, 17:10
Ist ein „Ex-Journalist“ kein Journalist? Aber aber
Florian Blumer 13. April 2014, 11:51
Ein Mediensprecher, der einen für Journalisten gedachten Recherchepreis erhält – das muss zu denken geben. Nicht, weil man jemandem, der die aufwendigste und herausragenste Recherche des Jahres gemacht hat, aber kein Journalist ist, den Preis nicht geben sollte. Sondern weil die aufwendigste und herausragendste Recherche offensichtlich heute nicht mehr von Medienhäusern ermöglicht wird.