«Das Thema ist in den Köpfen drin»
Die Konsumentenmagazine von Verleger René Schuhmacher haben die Initiative «Pro Service public» im Alleingang an die Urne gebracht. Schuhmacher sieht den Schritt in die Politik als logische Fortsetzung der Publizistik mit anderen Mitteln im Auftrag seiner Leser. Das Doppelspiel ist erfolgreich, wirft aber Fragen auf.
Es ist ein eigentümlicher Abstimmungskampf um die «Pro Service public»-Initiative. Während die Vorlage bei der Bevölkerung grosse Sympathien geniesst, fällt sie bei Parteien und Verbänden praktisch ausnahmslos durch. Linke Parteien, Gewerkschaften und selbst der Konsumentenschutz, die sonst bei jeder Gelegenheit den öffentlichen Dienst stärken wollen, verweigern der Vorlage ihre Gefolgschaft und halten das Ansinnen gar für kontraproduktiv. Dafür entdecken nun einzelne SVP-Exponenten das Thema für sich. Derzeit tritt Roger Köppel als einziges prominentes Gesicht öffentlich für die Initiative ein. Damit unterstützt der zum Politiker gewordene Weltwoche-Verleger ein Anliegen hinter dem der linke Verleger René Schuhmacher steht, der unter anderem die Konsumentenmagazinen K-Tipp und «Saldo» herausgibt. Als Spiritus rector der Initiative «Pro Service public» will sich Schuhmacher partout nicht betitelt wissen, obwohl er zusammen mit seinem Verlags- und Redaktionskader das Initiativkomitee bildet. Er sieht sich und seine Magazine vielmehr als eine Art Katalysator, der seiner Leserschaft ein Instrument in die Hand gegeben hat, damit sich diese in die Politik einbringen kann.
Öffentlich tritt Schuhmacher (Jahrgang 1953) selten bis nie in Erscheinung, so auch jetzt nicht. Das Gesicht der Initiative ist Peter Salvisberg, der Marketing-Leiter von Schuhmachers Verlag. «Neben meinem Job als Anwalt und dem zeitaufreibenden Hobby als publizistischer Leiter der Konsumentenzeitschriften habe ich nicht auch noch Zeit, eine Abstimmungskampagne zu führen», sagt René Schuhmacher auf Anfrage. Bei aller Bescheidenheit: Ohne Schuhmacher gäbe es die Initiative nicht. Er hat als schneller Denker und unermüdlicher Schaffer seinen Verlag zu einer schlagkräftigen Konsumentenlobby geformt. Dabei kommt ihm zugute, dass er als Anwalt mit den Spezialgebieten Vertragsrecht und Medienrecht just von jenen Themen etwas versteht, die seinen Publikationen nützen. «Mit seiner Erfahrung als Jurist hat er schon manchen Journalisten vor Fehlern geschützt», sagt ein langjähriges Redaktionsmitglied. Seine Funktion als publizistischer Leiter seiner Magazine nimmt er äusserst aktiv wahr. So liest er praktisch alle Artikel vor der Veröffentlichung, klopft sie auf Fehler ab. Damit spare er Anwaltskosten von rund einer halben Million Franken pro Jahr. Entsprechend präsent ist er im Tagesgeschäft der Redaktionen, was wegen seiner umgänglichen Art durchaus geschätzt wird. «Er sagt nie, du schreibst einen ‹Seich›. Er sagt, in deinem Artikel stimmt etwas nicht», erinnert sich ein ehemaliges Redaktionsmitglied. Er ist der Super-Chefredaktor. Das heisst aber auch, dass es keinen «Gott neben ihm» gibt, wie es jemand pointiert formuliert, der die Verhältnisse gut kennt.
Mit seinen 870’000 Lesern überflügelt allein der K-Tipp alle anderen Schweizer Wochen- und Monatstitel, selbst nachdem er im vergangenen Jahr deutlich an Reichweite verloren hat. Dafür geht es mit «Bon à Savoir», dem Schwesternblatt in der Westschweiz, gerade steil aufwärts, das nun über 400’000 Leser erreicht. Macht zusammen 1.3 Millionen Leser in der Schweiz. Damit erzielt der Zeitschriftenverlag einen Umsatz von rund 25 Millionen Franken und einen Gewinn von 1.5 Mio, berichtete die Weltwoche kürzlich. Schuhmacher bestätigt diese Zahlen gegenüber der Handelszeitung und präzisiert: Es handle sich dabei um die konsolidierten Umsätze und Ebita-Beträge im Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Die Wurzeln des erfolgreichen Mediengeschäfts gehen auf die Sendung «Kassensturz» zurück. Entstanden ist der K-Tipp Anfang der 1990er-Jahre aus den «Merkblättern» zur Konsumsendung des Schweizer Fernsehens. Als sachkundiger Anwalt und Jurist mit bereits damals langjähriger publizistischer Erfahrung bei «Tat» und Tages-Anzeiger formulierte Schuhmacher diese Tipps und Hilfestellungen für die Fernsehsendung. Aus den «Merkblättern» wurde ein Magazin und Schuhmacher sein Verleger. Nach dem Rausschmiss aus dem Verlag und dem Aufbau von «Saldo» als Konkurrenztitel zum K-Tipp, kehrte Schuhmacher schliesslich zurück an die frühere Wirkungsstätte und führte das Medienhaus zu Erfolg in Geschäft – und nun auch in der Politik.
Nicht zum ersten Mal dienen K-Tipp und «Saldo» einem doppelten Zweck: Neben dem journalistischen Kerngeschäft von Information und Aufklärung sollen sie eine Initiative an der Urne zum Erfolg bringen. Ein erstes Mal gelang das vor sechs Jahren beim Referendum gegen die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes für Pensionskassenguthaben. Damals noch im Verbund mit Parteien und Gewerkschaften. Jetzt wählte man bewusst den Alleingang. Umso wichtiger sind darum die eigenen Medien, wenn einen sonst niemanden unterstützt.
Dass es um mehr geht als «nur» um Konsumentenjournalismus, sieht man den Magazinen denn gut an. Kritisches zu SBB, Post und Swisscom nimmt in jeder Ausgabe prominenten Raum ein. «Wir müssen sicher darauf achten, dass wir nicht monothematisch werden», sagt Verleger Schuhmacher. «Mit den Zuschriften zu Post, SBB und Swisscom könnten wir fast das ganze Blatt füllen.» Das ist natürlich auch den drei Unternehmen nicht entgangen. Sie sehen sich seit der Lancierung der Initiative mit einer Häufung von Anfragen der Konsumentenzeitschriften konfrontiert. Man versuche diese so professionell wie möglich zu beantworten, teilen die Medienstellen unisono mit. Oft bleibe aber ein komisches Gefühl zurück. Swisscom-Medienchef Sepp Huber formuliert es so: «Aus den Anfragen geht bereits hervor, wie der Artikel laufen muss, dann setzen wir unsere Ressourcen lieber dort ein, wo wir etwas bewirken können.» Etwas zurückhaltender, aber genauso unmissverständlich, drückt sich SBB-Sprecher Oli Dischoe: «Wir stellen fest, dass gewisse Konsumentenmagazine in einem politischen Umfeld, mit politischer Absicht schreiben.» Vor drei Jahren kam es mit den SBB vorübergehend zum Zerwürfnis. Das Bahnunternehmen beantwortete während eines halben Jahres Anfragen von K-Tipp und «Saldo» nur noch summarisch und verwies auf allgemein zugängliche Informationen auf der Website. Kritiker des Vorgehens nannten das Vorgehen einen «Informationsboykott».
Dass SBB, Swisscom und Post wegen der Initiative verstärkt im Fokus der Berichterstattung stünden, bestreiten die Magazine. Ihre Publikationen würden genau gleiche aussehen auch ohne ein politisches Ziel vor Augen. Verleger Schuhmacher erklärt: «Wir führen keine Politkampagne.» Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Ganz ohne klassische Kampagnenarbeit kommen die Initianten trotz ihrer reichweitenstarken Medien nicht aus. So gibt es die nach dem Titel der Initiative bezeichnete Website www.proservicepublic.ch und dieser Tage erhielten alle Schweizer Haushalte eine Abstimmungszeitung. Kostenpunkt: Rund 600’000 Franken, finanziert aus Spenden. Propaganda sei das nicht, nur «Notwehr gegen die groteske Fehlinformation im Bundesbüchlein», so Schuhmacher. Und die nächsten Pfeile stecken bereits im Köcher. Sollte als Reaktion auf eine allfällige Annahme der Initiative die Privatisierung der Staatsbetriebe auf die Traktandenliste rücken, was gar nicht im Sinne Schuhmachers wäre, dann liesse sich das natürlich mit Referendum oder einer nächsten Initiative bekämpfen. Aber vorderhand ist René Schumacher ganz der Publizist, der Debatten anstossen will. Für ihn hat die Initiative ihren Zweck denn auch schon jetzt erfüllt: «Das Thema ist in den Köpfen drin.»
Dieser Artikel ist im Auftrag der «Handelszeitung» entstanden.