von Markus Gabriel

Sturm über Google oder nur im Wasserglas?

Zahlreiche Firmen haben ihre Budgets gestrichen oder blockiert, die für Werbung im Google Werbenetzwerk gesprochen waren. Damit reagieren sie mit PR-trächtiger Empörung auf den Umstand, dass ihre Werbeanzeigen in die Nähe von hetzerischen Webseiten und radikalen YouTube-Videos gebracht wurde, ohne ihr Wissen. Das Problem ist kleiner als nun der Eindruck entstanden sein könnte in Folge der ganzen Aufregung.

Der Aktienkurs von Googles Muttergesellschaft Alphabet ist um 4,5 Prozent gesunken, nominell um immerhin 22 Mrd. Franken. Offenbar sehen viele Investoren das Werbeflaggschiff Google bereits am Sinken, während klassische Medien die Gelegenheit nutzen, sich als saubere Werbeträger zu profilieren.

Jetzt ist Google in der Pflicht, heisst es unisono. Und Google verspricht Besserung. Die so genannte Brand Safety soll durch griffigere Filter und mehr Transparenz gewährleistet werden. So lange in Mountain View daran geschraubt wird, bleibt das milliardenschwere Unbehagen seitens der Werbetreibenden bestehen. Das ist ziemlich viel Aufregung für ein Problem, das real betrachtet keines ist.

Denn ausserhalb der Medienberichterstattung, die den erwähnen Unternehmen in der Tat schaden kann, gibt es eigentlich keine direkten Opfer. Weder muss man Konsumenten von Neonazi-Videos, Besucher von Hassseiten und Anhänger von Gruselplattformen vor der Begegnung mit Werbeanzeigen unbescholtener Firmen bewahren. Noch muss man Werbebanner vor den bösen Blicken übler Menschen schützen.

Kein Mensch ohne entsprechenden Gesinnungshintergrund gelangt einfach so auf unerträgliche Internetseiten. Dieses Unglück «passiert» nur Journalisten, die darüber berichten wollen und digitalen Katastrophentouristen, die sich das ganze mal aus der Nähe anschauen wollen. Das Image-Problem für die Firmen manifestiert sich erst durch den rapportierten und kommentierten Screenshot in den gesellschaftsfähigen Massenmedien.

Darum müssen sich die Firmen jetzt öffentlich distanzieren, und darum will Google das Problem schnellstens bekämpfen. Der Werbegigant ist mit seiner Reichweite beileibe nicht darauf angewiesen, aus den finsteren Ecken des Internets Profit zu schlagen; auf eine gute Reputation dagegen schon. An dieser Stelle ist zu erwähnen, das Google seinen Werbetreibenden bereits einschlägige Filter zur Verfügung stellt, um Werbebanner vor unpassendem Umfeld zu schützen, und dass der eine oder andere Éclat damit zu vermeiden gewesen wäre. Schämen sollten sich die Agenturen und Inhouse-Spezialisten, die sich den lästigen Mehraufwand lieber sparen.

Die Frage, die viele Werbetreibende nun beschäftigt lautet, ob Google das Problem überhaupt in den Griff kriegen kann. Was Texte auf Webseiten angeht, ist es für Google wohl ein Leichtes, problematische Inhalte zu identifizieren und automatisch für ihr Werbenetzwerk zu sperren oder einem Ausschlussfilter zuzuordnen. Die linguistischen Fähigkeiten und KI-Algorithmen von Google sind so weit fortgeschritten, dass problematische Inhalte mit höchster Treffsicherheit erkannt werden.

Anders sieht es aus bei Video-Inhalten. Auch hier ist die maschinelle Mustererkennung in Bild und Ton auf Youtube erstaunlich. Und doch ist es schwierig bis unmöglich, zum Beispiel marschierende Springerstiefel von pazifistischen Laufschuhen zu unterscheiden, oder Schüsse auf einen Schauspieler von der Erschiessung eines Ungläubigen. Hier hilft allein die menschliche Kontrolle. Aber auf Youtube werden pro Minute rund 300 Stunden Videomaterial hochgeladen. Wer soll sich das alles ansehen?

Darum bietet Google wie die meisten Social-Media-Plattformen den Usern die Möglichkeit, fragliche Inhalte zu melden. Von allen Filtertechnologien gehört ein solcher Wisdom-of-the-Crowd-Filter sicher zu den effektivsten. Vielleicht müsste Google diese Möglichkeit stärker hervorheben und die Werbezufuhr auf gemeldete Seiten automatisch stoppen, bis die manuelle Überprüfung erfolgt ist. Auf keinen Fall wünschenswert ist es aber, dass Sachbearbeiter bei Google zur Moralinstanz werden und eigenmächtig Grenzen ziehen, die der freien Meinungsäusserung entgegen laufen.

Google steht nicht vor einer unlösbaren Aufgabe. Und sobald die entsprechenden technologischen und prozessualen Änderungen implementiert sind, werden die Werbetreibenden ihr Budgets wieder freischalten. Zu gross ist der kommerzielle Nutzen des Programmatic Advertisings im Google Universum. Vereinzelt werden vermutlich weiterhin algorithmische Entgleisungen ruchbar werden, aber es wird für eine Skandalbewirtschaftung in den Medien nicht mehr ausreichen. Und damit ist das Problem für die Werbetreibenden gelöst.

Digital-Profis zumindest sind sich einig: Bevor die klassischen Medien den Untergang des Programmatic Advertisings feiern können, wird eher das klassische Media Planning aussterben.

Leserbeiträge

Ueli Custer 04. April 2017, 14:49

Wer es wissen wollte, wusste es schon lange. Aber niemand wollte bisher den Partykiller spielen. Wobei die Umfelder weit weniger ein Problem sind als die Roboterkontakte, die effektiv für die Katze sind.