von Nick Lüthi

Affäre Walder: Fahrlässige Schützenhilfe

Er habe seine Medien angewiesen, mit ihrer Corona-Berichterstattung die Regierung zu unterstützen. Diese Aussage von Marc Walder geriet zum Skandal. Auch wenn der Ringier-CEO relativiert und die Redaktionen auf ihre Unabhängigkeit pochen, leistet Walder den Gegnern einer ausgebauten Medienförderung fahrlässigerweise Schützenhilfe. Das erinnert an einen ähnlichen Vorgang vor einem Jahr.

Als Marc Walder am Swiss Media Forum im vergangenen Oktober während einer Podiumsdiskussion zu einer Standpauke ansetzte, wusste er noch nicht, dass auch er bald ins Visier geraten würde. Walder kritisierte damals mit scharfen Worten die Ad-hominem-Attacken auf die Verleger Michael Ringier, Peter Wanner und Pietro Supino im anrollenden Abstimmungskampf um das Massnahmenpaket zugunsten der Medien: «Ich schäme mich zutiefst, dass Vertreter dieser Industrie diese primitive Kampagne fahren.»

Die Gegner einer ausgebauten Medienförderung – selbst Journalisten und Verleger – hatten sich frühzeitig darauf eingeschossen, dass auch Grossverlage wie Ringier, Tamedia und CH Media zusätzlich von Subventionen profitieren sollten. Walder störte sich insbesondere daran, dass die privaten Wohn- und Vermögensverhältnisse der Verleger als Argumente gegen das Medienpaket herhalten sollten. «Das ist primitivster Populismus und primitivste Polemik», geisselte der Ringier-Chef die Kampagne. Seit Silvester steht Marc Walder selbst in deren Visier.

Vor fast einem Jahr, am 3. Februar 2021, äusserte sich Walder anlässlich eines Online-Talks der Schweizerischen Management Gesellschaft SMG zum publizistischen Rollenverständnis Ringiers während der Corona-Pandemie. Auf die Frage, wie er grundsätzlich die Aufgabe der Medien in der Pandemie sehe, antwortete Walder: «Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: ‹Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.›» Walders Bitte um Vertraulichkeit zeigt, dass er sich der Brisanz des Gesagten bewusst war. Und möglicherweise lieferte er mit dem Hinweis gleich selbst den Anstoss, dass seine aufgezeichnete Aussage den begrenzten Kreis der damals Zuhörenden verliess.

Die Aussage Walders wäre dann ein Skandal, wenn er tatsächlich eine Stallorder herausgegeben hätte.

Auf jeden Fall fand Walders heikle Einlassung den Weg zum Referendumskomitee gegen das Massnahmenpaket zugunsten der Medien. An Silvester, fast elf Monate nach der SMG-Diskussionsrunde, veröffentlichte Philipp Gut die kompromittierende Videosequenz auf nebelspalter.ch in einem Artikel mit dem Titel: «Marc Walder zwang alle Redaktionen der Ringier-Medien weltweit auf Regierungskurs». Dass der Autor dieser Enthüllung als Geschäftsführer des Referendumskomitees gegen die ausgebaute Medienförderung amtet, erfährt man nicht.

Nach den Verlegern, die sich mit Subventionen ihren Reichtum finanzieren, nun also ein Medienchef, der seine Redaktionen auf Regierungskurs bringt. Das Referendumskomitee und ihm Gleichgesinnte sehen in der Walder-Aussage einen Beleg für den zweiten zentralen Argumentationsstrang seiner Kampagne gegen die Medienförderung: Medien kungeln mit der Macht und Subventionen würden die Staatshörigkeit nur noch verstärken.

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Die Aussage Walders wäre dann ein Skandal, wenn sie dem entsprächen, was jene flugs hineininterpretierten, die schon immer gewusst haben wollten, dass die Ringier-Redaktionen von oben gelenkt werden; wenn also Walder tatsächlich eine Stallorder herausgegeben hätte, wie die Redaktionen über Corona berichten sollten und die Medienschaffenden nach seiner Anweisung handelten.

Wer den «Beobachter» kennt und liest, wird leicht bestätigen können, dass sie nicht auf Geheiss von oben berichten.

Dem sei nicht so, betonen nun verschiedene Ringier-Medien in Stellungnahmen, die sie in den letzten Tagen öffentlich machten. Gemäss «Beobachter», ein Magazin, das Ringier mitherausgibt, «finden weder Absprachen noch Vorgaben geschweige denn Einflussnahmen von Seiten Verwaltungsrat, Management oder Verlag statt». Das hielt die Redaktion am vergangenen Dienstag in einer Hausmitteilung fest. Der «Beobachter» sei «einzig dem guten Journalismus und seinem Versprechen gegenüber den Leserinnen und Lesern verpflichtet». Wer den «Beobachter» kennt und liest, wird das leicht bestätigen können.

Was Walder meinte, aber nicht so gesagt hatte, erklärte er in einem Interview mit der NZZ: «Die Redaktionen von Ringier stützen sinnvolle und wichtige Massnahmen wie Maskentragen, Testen und Impfen», so Walder. Das deckt sich mit dem, was die Behörden im Kampf gegen die Corona-Pandemie empfehlen.

Zweimal hatte Walder selbst in die Tasten gegriffen, um die Behörden für Mängel bei der Krisenbewältigung zu schelten.

Man kann diese Massnahmen natürlich auch für sinnvoll halten, unabhängig davon, was die Regierung tut und lässt. Entsprechend ist die Berichterstattung der «Blick»-Gruppe einzuordnen. In Sachen Corona lag die zwar über weite Strecken auf Regierungslinie, fiel aber regelmässig auch mit Kritik auf. «Wir haben nie verhehlt, dass wir viele der Massnahmen richtig finden und die Impfung für das wichtigste Mittel im Kampf gegen die Pandemie halten», schreibt die Chefredaktion der «Blick»-Gruppe in einer öffentlichen Stellungnahme. Und ja, es treffe zu, «dass sich der Chefredaktor der Blick-Gruppe und der Ringier-CEO regelmässig austauschen. Manchmal ist man gleicher Meinung, manchmal nicht». Weil Walder mit «Sonntagsblick» und «Schweizer Illustrierte» früher selbst einmal zwei wichtige Ringier-Titel als Chefredaktor geleitet hatte, findet dieser Austausch quasi auf Augenhöhe statt; schliesslich bleibt man sein Leben lang Journalist. Aber heute trägt Walder die unternehmerische und verlegerische Verantwortung.

Zum Verhältnis zwischen Verlag und Redaktion sagte der altgediente Journalist Karl Lüönd, der Ringier sehr gut kennt, einmal treffend: Er habe in seiner langen Zeit als Medienmacher keinen Journalisten getroffen, der nicht in «vorauseilendem Gehorsam» die Interessen des Verlags vertreten habe: «Da braucht es keine Stallorder von oben», so Lüönd 2011 gegenüber der Zeitung «Sonntag».

Aber wie kommt Walder überhaupt auf die Idee, Medien müssten die «Regierung unterstützen»?

In ihrer Stellungnahme betont die Chefredaktion der «Blick»-Gruppe, dass sie unzählige Male Bundesrat und Kantonsregierungen kritisiert habe. Das tat auch Marc Walder selbst in den «Blick»-Medien. Zweimal hatte der Chef persönlich in die Tasten gegriffen, um die Behörden für Mängel bei der Krisenbewältigung zu schelten. Im Herbst 2020 kritisierte der Ringier-Chef mit scharfen Worten den Entscheid des Bundesrats, Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen wieder zuzulassen angesichts einer stark steigenden Infektionsrate. Ein halbes Jahr später problematisierte Walder in einem Kommentar die Unfähigkeit der Behörden beim Einsatz digitaler Hilfsmittel zur Bewältigung der Pandemie.

Aber wie kommt Walder überhaupt auf die Idee, Medien müssten die «Regierung unterstützen»? Bei der Bewältigung einer anderen gesellschaftlichen Herausforderung unterstützt Walder tatsächlich die Regierung unter tatkräftiger Mithilfe der Ringier-Medien. Mit der von ihm angestossenen Initiative «Digital Switzerland» will er der Schweiz im Allgemeinen und den Behörden im Speziellen digital auf die Sprünge helfen. «Blick» & Co. dienen dabei regelmässig als Plattform für Berichte und Beilagen im Sinne ihres CEO. Anders als die Corona-Bekämpfung polarisiert das Thema Digitalisierung nicht wirklich; alle sind irgendwie dafür. Doch vor einem Jahr lief etwas schief.

Mit seiner unbedachten Äusserung goss Ringier-CEO Walder Wasser auf die Mühlen der Gegner einer ausgebauten Medienförderung.

Als «Digital Switzerland» im Vorfeld der Abstimmung über das E-ID-Gesetz in den Ringier-Medien mit Propagandaartikeln, die als redaktionelle Beiträge getarnt waren (sogenanntes politisches Native Advertising), für eine Zustimmung warb, hagelte es Kritik. Obwohl Walder versicherte, mit der Anzeigen-Kampagne nichts zu tun zu haben, blieb ihm nur die Flucht nach vorn. Persönlich wies er daraufhin Redaktionen und Verlag an, künftig Native Advertising klar erkennbar als bezahlte Beiträge zu bezeichnen. Die Gegner der E-ID-Vorlage versuchten aus dem Fauxpas politisches Kapital zu schlagen, etwa indem sie öffentlichkeitswirksam eine Sammelbeschwerde an den Presserat einreichten. Auch ohne diesen Aufreger wäre das E-ID-Gesetz deutlich abgelehnt worden. 64 Prozent der Bevölkerung stimmten gegen die Vorlage.

Bei der anstehenden Abstimmung über die Medienförderung rechnen alle mit einem äusserst knappen Ausgang. Mit seiner unbedachten Äusserung goss Ringier-CEO Walder Wasser auf die Mühlen der Gegner. Sollte das Medienpaket an der Urne scheitern, wird man nach Gründen suchen.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 07. Januar 2022, 10:24

Blick/Walder bringen das Medienpaket ins Wanken

Mit der «Einordnung» dessen, was Marc Walder mit seinen Worten und seinem Handeln gegenüber den Redaktionen gemeint haben könnte, bin ich nicht einverstanden: Entscheidend ist nur, WAS er gesagt hat und WIE es bei den Redaktionen ankam.

Fakt ist, dass Blick/Sonntagsblick zu keinem Zeitpunkt massnahmenkritisch berichteten, wenn es Kritik gab, dann für Petitessen, sie schmerzte den hauptverantwortlichen Bunesrat Berset nicht. Berset darf immer auf Blick-Support zählen (wie oft zum voraus!) – wer hingegen Massnahmen und Auswirkungen kritisiert, wird in die Schwurblerecke geschrieben.
Angesichts der unzählighen Fails des BAG, ist diese «Haltung» penetrant spürbar.

Blick/Sonntagsblick haben bei einem grossen Teil des Publikums die Glaubwürdigkeit verloren, und das wird sich in einem hohen Nein-Stimmen-Anteil zum Medienpaket zeigen. Damit wird kleinen Titeln das verwehrt, was mit den 1’300 Serafe-Millionen dem unersättlichen SRF in den Rachen geworfen wird.

Ueli Custer 07. Januar 2022, 14:29

Was haben Ringier-interne Vorgänge mit dem Medienpaket zu tun, über das wir am 13.2. abstimmen? Rein gar nichts. Aber man kann damit so gut Stimmung machen gegen Ringier und Co., die ja vom Paket weiterhin nur so minimal profitieren wie schon seit 1848. Man schlägt die Grossen und trifft die Kleinen.