Die Medien, die Industrie und das Böse
Der Schaffhauser Verleger Norbert Neininger legt sich wieder einmal mit dem Internet an: Soziale Netzwerke wollen nur Geld verdienen, hat er herausgefunden. Neininger warnt vor dem verantwortungslosen Treiben von Facebook, Twitter & Co und fordert «gleich lange Spiesse für alle Medienunternehmen». Eine Replik.
Beim Lesen der NZZ heute habe ich laut herausgelacht. Norbert Neininger, Präsidiumsmitglied im Verband Schweizer Medien, schreibt in einem Artikel, das Ziel von Facebook sei «nicht eine bessere Welt, sondern eine höhere Börsenkapitalisierung und explodierende Margen». Are you kidding me, Mr Neininger? Und das in der für die Wirtschaft wichtigsten Zeitung der Schweiz?
Wer bitte glaubt, das Ziel von Facebook sei es, über die eigenen Produkte hinausgehend eine bessere Welt zu schaffen? Anteile dieser Firma sind seit dem 18. Mai 2012 an der Börse handelbar, natürlich will Facebook Geld verdienen. Wie die meisten Medienunternehmen: die NZZ-Aktien sind derzeit für 6000 Franken das Stück zu haben, die Tamedia-Namenaktien zu 101 Franken. Ist es etwa deren Ziel, «eine bessere Welt zu schaffen»? Und was wollen die «Schaffhauser Nachrichten»? Nicht auch Geld verdienen? Kein Geld verdient hat Neininger bekanntlicherweise mit dem 2011 eingestellten Nachrichtenaggregator News1.ch, einem misslungenen Regionalabklatsch von Google News.
Vielleicht hat Neininger mit Facebook einfach das falsche Unternehmen erwischt. Es gibt nämlich eine Firma, die sich das Motto «You can make money without doing evil» gegeben hat: Google. Nachzulesen auf der Firmenwebsite unter Punkt 6: «What we believe» (beachtenswert auch die Punkte 4 («Democracy on the web works») und 9 («You can be serious without a suit»)). Ob Google tatsächlich nach seinen Maximen handelt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Aber immerhin lässt sich Google darauf behaften: «(…) you can hold us to that.»
Was die Kernaussage von Neiningers Artikels betrifft, kann man mit dem Kleinverleger soweit einig gehen, dass Opfer von Verunglimpfungen nicht rechtlos sein sollen. Das sind sie aber bereits heute nicht. Auf zivilrechtlicher Ebene kann jederzeit gegen Persönlichkeitsverletzungen vorgegangen werden, ganz egal, ob sie in Zeitungen oder Sozialen Netzwerken erfolgen.
Anonyme Angriffe waren schon immer ein Problem: seit Jahrhunderten stapeln sich auf den Polizeidienststellen ungelöste Fälle mit anonymen Anrufen oder Briefen. Einen aktuellen Fall aus der Offline-Welt im Berner Oberland hat kürzlich Andreas Kunz in der «Weltwoche» aufgerollt.
Doch weiter im NZZ-Artikel:
Viele Medienhäuser wollen ihr wertvollstes Gut – die journalistischen Inhalte – nicht mehr verschenken, und das Urheberrecht könnte bald durch ein Leistungsschutzrecht ergänzt werden, das auch den Autoren zugutekäme.
Wo liegt das Problem? Wenn Verlage ihre Inhalte nicht mehr verschenken wollen im Netz, warum tun sie es denn? Es steht den Medienunternehmen frei, ihre Websites abzuschalten und alle zu verklagen, die Texte aus dem Printprodukt ins Netz stellen. Geteilt werden Inhalte, weil sie online so leicht erhältlich und teilbar sind und das kommt den Verlagen durchaus zugute. Schliesslich wollen sie Online-Werbung verkaufen; dafür braucht es ausweisbare Zugriffe.
Und dann der lächerliche Kampf gegen die Suchmaschinen. Einerseits wenden die Presseverlage viel Geld für Suchmaschinenoptimierung auf, um möglichst viele Besucher auf ihre Seiten zu locken. Andererseits sollen die Suchmaschinen eine Lizenz lösen, um Ausschnitte anzeigen zu dürfen. Und wieso ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger den Autoren zugute kommen sollte, wie Neininger behauptet, ist auch mit viel Vorstellungskraft kaum nachvollziehbar.
Nicht nur der bescheidene Gehalt des Artikels erstaunt, auch die prominente Plattform, die Neininger in der NZZ immer wieder erhält für seine Ideen. Liegt es daran, dass sich im Verlegerverband sonst niemand zu exponieren wagt? Man erinnert sich an das laute Schweigen zum Leistungsschutzrecht, dessen Einführung bis Ende 2012 vom Verband zum Ziel erklärt wurde.
Bekannte regelmässige Urheberrechtsverletzer sind natürlich auch die Presseverlage selbst (zu erinnern ist auch an den Fall Bütler vs. Neininger im Februar 2012). Vor einer Woche hat sich Tagblatt.ch-Redaktor René Rödiger darüber öffentlich geärgert:
«Da beklagen sich viele Verlage und Medien darüber, dass Blogger & Co. ihre Inhalte klauen würden. Auch wenn dem so wäre, Geld machen wohl die wenigsten mit dem kopieren fremder Inhalte. Ausser die Medien: Ganz frech werden immer wieder Bilder mit zweifelhafter Quellenangabe zu den Texten gestellt oder – noch viel schlimmer – Werbung vor fremde Videos gestellt (meist YouTube). So muss man erst rund 30 Sekunden Autowerbung über sich ergehen lassen, um das neuste Musikvideo der Band X auf Blick/20min/Tagi & Co. zu sehen.»
Einige dieser Videos mögen zur freien Verfügung bereit gestellt worden sein, andere dagegen sind urheberrechtlich geschützt. Die Webportale Schweizer Zeitungen speichern diese Fremddateien auf den eigenen Servern ab und publizieren sie neu, im eigenen Videoplayer auf der eigenen Website. Jahrelang, ohne die Urheber überhaupt zu erwähnen oder gar zu verlinken (inzwischen wird das teilweise gemacht). Blick.ch ergänzt beispielsweise bei diesem, seit 2010 auf YouTube einsehbaren Video einfach das eigene Logo in die obere Ecke, schaltet 28 Sekunden Werbung vor und fügt drei Zeilen Text und zwei Sekunden Abspann dazu – geerntet werden so 61 Empfehlungen von Facebook-Mitgliedern. Und auch der «Tages-Anzeiger» illustriert seine Artikel munter aus der «Quelle: Internet» (siehe unsere Bildergalerie, via @Roedluvan).
Als Inhalteanbieter im Web möchte man besser geschützt sein gegen solche Praktiken.
David Bauer 26. Juni 2012, 15:10
Die AGB von YouTube (das, zur Erinnerung, dem bösen Google gehört) verbieten diese in verschiedenen Schweizer Medien gängige Nutzung der Videos übrigens explizit. Ich habe mir das von Google Schweiz auch mal bestätigen lassen.
Ronnie Grob 26. Juni 2012, 15:25
Die Nutzungsbedingungen von YouTube übrigens hier.
jerome 27. Juni 2012, 00:59
die kombination von titel, lead und autor hat mir heute morgen schon gereicht um zu wissen, dass der artikel nichts taugen kann. wegen noch etwas zeit dann doch gelesen und geschwankt, zwischen ärgern und lachen. darum danke ronnie, dass sich jemand die mühe macht, solchem geballten unsinn und unverstand etwas zu entgegnen.
vera 28. Juni 2012, 06:49
Tsss, weiß gar nicht, was du hast: Die „langen Spiesse für alle Medienunternehmen“ sind selbstverständlich bereitzuhalten, damit die (wir) gebeutelten Blogger sie endlich umdrehen können.
Andreas Renggli 29. Juni 2012, 10:50
Amüsant fand ich auch den Punkt mit der Verantwortung: Die armen Schweizer Verlage haften für all ihre Inhalte, die bösen Internetunternehmen für gar nix. Doch jeden Tag erscheinen in Schweizer Tageszeitungen Kommentare mit dem Hinweis, bei der geäusserten Meinung handle es sich um die persönliche Ansicht des Autors, womit die Zeitungen die Verantwortung für diese Inhalte ja ebenfalls von sich weisen.
Doris Mueggler 06. Juli 2012, 16:33
Als Präsidiumsmitglied im Verband Schweizer Medien, könnte man ja einfach auch mit dem Fluss der Zeit und den Veränderungen des Lebens gehen, lernen und creativ werden.
Ich habe eben dieses Interview gelesen und mich total gefreut, ein ähnliches Thema positiv und creativ betrachtet:
http://www.zeit.de/2012/27/Internet-Coelho
Roger 11. Juli 2012, 20:31
Gerade zum letzten Thema habe ich im Dezember 2012 mal etwas geschrieben:
Wie 20min.ch auf Quellenangaben und ToS’ scheisst (man entschuldige die Wortwahl).
Geändert hat sich da nicht besonders viel, auch wenn der Artikel 20min-intern behandelt wurde, wie man mir mitgeteilt hat…