von Nick Lüthi

Online-Journalisten bleiben zweitklassig

Nach NZZ und «20 Minuten» übernimmt auch beim Tages-Anzeiger ein Zeitungsmann die Leitung der konvergenten Redaktion. Obwohl alle Verlage wissen, dass die Zukunft der Zeitung im Netz liegt, vertrauen sie weiterhin auf Führungspersonal aus der Papierwelt.

Die Entwicklung geht derzeit unaufhaltsam in eine Richtung. Ob Zeitungen, Radio oder Fernsehen – alle wollen sich konvergent aufstellen; die traditionellen Verbreitungskanäle verschmelzen zunehmend mit dem Internet. Entsprechend müssen Redaktionskompetenzen und -abläufe neu definiert werden. Gestern hat die Zürcher Tamedia bekanntgegeben, mit welchem Spitzenpersonal ihr Flaggschiff Tages-Anzeiger die Herausforderungen der Konvergenz meistern soll. Mit Res Strehle übernimmt ein altgedienter Zeitungsmann die Gesamtleitung. Der bisherige Online-Chef, Peter Wälty, wird sein Stellvertreter. Damit wiederholt sich ein Vorgang, wie man ihn unlängst auch bei «20 Minuten» beobachten konnte. Auch hier  hat Print-Chefredaktor Marco Boselli das Rennen an die Spitze der konvergenten Redaktion gemacht. Anders als beim Tages-Anzeiger hat Tamedia für Online-Chef Hansi Voigt keine Verwendung mehr und lässt ihn ziehen. Auch bei der Konkurrenz sieht es nicht anders aus: Bei der NZZ leitet seit bald einem Jahr Markus Spillmann, der frühere Zeitungschefredaktor, die zusammengeführten Redaktionen.

Von einem Trend zu sprechen wäre übertrieben. Bei jedem der drei Personalentscheide gibt es je spezifische Gründe und Erklärungen dafür, weshalb es ausgerechnet der Zeitungsmann an die Spitze geschafft hat und nicht ein Onliner. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die strukturellen Gemeinsamkeiten:

  • Verlage gehen in Zeiten des Umbruchs lieber auf Nummer sicher und entscheiden sich für das Bewährte und Vertrauten; Zeitung kennen sie, Online entpuppt sich immer wieder als eine terra incognita.
  • Konvergenz wird primär verstanden als Weiterführung des Zeitungsgeschäfts mit anderen Mitteln.
  • Den aktuellen Online-Führungskräften traut man entweder nicht zu, eine redaktionelle Gesamtorganisation zu leiten, oder glaubt, auf ihr Fachwissen verzichten zu können.
  • Jetzt zahlt sich das Versäumnis aus, in den letzten 15 Jahren den Online-Journalismus nur als notwendiges Übel geduldet und entsprechend wenig in die Förderung von Führungskompetenz investiert zu haben.

Das richtige Rezept für eine erfolgreiche Umsetzung der Konvergenz kennt niemand. Mit Rückschlägen, Blockaden und Widerständen ist in jedem Fall zu rechnen. Denn die Verschmelzung von Print und Online, die von den Verlagen zu lange als zwei getrennte Welten positioniert wurden, wird nicht reibungslos über die Bühne gehen. Für das Konfliktmanagement spielt es im Prinzip keine Rolle, ob das Führungspersonal eine Vergangenheit in Zeitung oder Netz hat; eine der beiden Seite wird sich immer übergangen oder benachteiligt fühlen.

Dennoch hinterlassen die Entscheide, für die Leitung von konvergenten Redaktionen auf das Alte und nicht auf das Neue zu setzen, einen komischen Nachgeschmack. Versteht man die Konvergenz als den ersten Schritt in eine volldigitale Zukunft, dann wäre es nur folgerichtig, hierfür auch Personal mit der Führung zu betrauen, das sich mit der neuen Medienwelt auskennt. Das braucht auch nicht aus dem eigenen Haus zu kommen. Von gestandenen Zeitungsmachern darf keine übermässige Innovationsfreude erwartet werden, da sie mit den Entwicklungen und Gepflogenheiten der digitalen Nachrichtenproduktion nur beschränkt vertraut sind – wobei man sich natürlich gerne vom Gegenteil überraschen lässt.

Leserbeiträge

Mario Schranz 06. November 2012, 14:05

Das muss ja nicht nur nachdenklich stimmen. Darin könnte man auch ein Bekenntnis für mehr Online-Qualität sehen. Sowohl die Printausgabe der NZZ als auch des Tages-Anzeigers waren bis anhin qualitativ besser positioniert als ihre Online-Pendants („Jahrbuch Qualität der Medien“). Nur: Bei 20 Minuten ist es anders. Hier schlägt die Qualität der Online-Ausgabe jene der Print-Ausgabe.

Oliver Schroeder 06. November 2012, 14:25

Relavant scheint mir dabei doch mehr, was am Ende beim Leser ankommt.
Kanäle sind Kanäle und Inhalte bleiben Inhalte. Das erste dient, das letzte zählt und der Leser zahlt (hoffentlich)

vera 07. November 2012, 22:12

Mach doch mal jemand eine Alterskurve Chefreds D/A/CH. Würde mich wirklich interessieren.