von Nick Lüthi

Ein Pressespiegel, der keiner ist

Bis Ende November bot TopComments «relevante Hintergrundberichte zum Weltgeschehen» im Abonnement an. Die Textübernahme aus 25 internationalen Medien erfolgte jedoch in einer urheberrechtlichen Grauzone. Auf Druck der Verlage hat TopComments nun entschieden, den Betrieb in seiner bisherigen Form einzustellen. Im Frühling will man als «Wissenszirkel» weitermachen.

Neun Monate nach dem Start hat TopComments bereits den Stecker gezogen, zumindest vorübergehend. Seit Ende November ruht der Infoservice. Die Abonnenten erhalten keine wöchentlichen Analysen und Hintergrundartikel mehr aus nationalen und internationalen Medien. Eine illustre Truppe aus ehemaligen Chefredaktoren (Andreas Durisch, Christoph Grenacher), Journalisten (Markus Schär) und Unternehmern (Edwin van der Geest, Robert Naville) und IT-Spezialisten (Caspar Steiner) lancierte den Dienst für Ihresgleichen: gestresste Informationsjunkies, die locker 200 Franken jährlich zahlen können für das Portionieren und Vorkäuen der üppigen Nachrichtenkost – oder «Ghostreading», wie TopComments seine Dienstleistung bezeichnet.

Obwohl vonseiten der Verlage bereits vor dem Start kritische Töne zu vernehmen waren bezüglich der Legalität des Angebots, liess sich TopComments nicht beirren. Edwin von der Geest, einer der beiden Gründer, sagt heute, er haben frühzeitig den Kontakt zu den Verlagen gesucht. Als Exponent der «IG Freunde der NZZ» steht er einem der potenziellen Partner sogar sehr nahe. «Das Projekt ist ja hundert Prozent ‚pro Medien‘, das Herausfiltern der weltweit besten Analysen soll Lust auf mehr machen». Aber das half nichts: «Wir haben den Verlagen gezeigt, was wir machen, aber nichts von ihnen gehört.»

Trotz dieser Unsicherheit ging TopComments an den Start. Ohne gross dafür zu werben, fand das Angebot sein Publikum. Edwin van der Geest, einer der beiden Gründer, spricht von einigen Hundert Abonnenten, die man habe gewinnen können. Als Ziel fürs erste Jahr nannte er 3-4000 Kunden. «Offensichtlich besteht ein Bedürfnis nach einer solchen Dienstleitung», sagt van der Geest, ehemaliger Investmentbanker und Mitgründer des Beratungsunternehmens Dynamics Group.

Van der Geest und seine Mitstreiter stellen sich auf den Standpunkt, TopComments sei eine Art Pressespiegel. Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts von 2007 brauchen elektronische Pressespiegel keine Bewilligung der Verlage für die Übernahme der Artikel. Die Urheberrechte können über die Verwertungsgesellschaft Pro Litteris abgegolten werden. Dank diesem höchstrichterlichen Entscheid wähnte man sich auf der sicheren Seite. Doch TopComments hatte die Rechnung ohne die Verlage gemacht. Selbst die Aussicht, über pro Litteris einen Drittel der Einnahmen abgeführt zu erhalten, taugte nicht als Kulanzofferte. Beim Urheberrecht ist heute mit den Verlagen nicht zu spassen.

«Bei TopComments handelt es sich ganz klar nicht um einen Pressespiegel», betont Hanspeter Kellermüller, Generalsekretär der NZZ. «Bei einem Pressespiegel», erklärt der Jurist, «gibt der Kunde einen konkreten Suchauftrag und der Dienstleister sucht die entsprechenden Artikel.» Unter diese Definition fallen professionelle Medienbeobachtungsdienste, wie etwas der Argus der Presse. Nur weil der TopComments-Kunde zwischen verschiedenen Themengebieten auswählen konnte, sei das Kriterium des aktiven Suchauftrags nicht erfüllt. Kellermüllers Einschätzung teilen auch andere Schweizer Verlage, deren Texte übernommen wurden. Deshalb haben NZZ, Basler Zeitung, Weltwoche, Handelszeitung und Tages-Anzeiger gemeinsam reagiert. «Eine kostenpflichtige Weiterverbreitung vollständiger Artikel ohne die notwendigen Urheber- und Nutzungsrechte ist ein klarer Rechtsverstoss», teilt Christoph Zimmer, Leiter Unternehmenskommunikation von Tamedia, auf Anfrage mit. In einem Schreiben haben die Verlage TopComments nun aufgefordert, mit ihnen Nutzungsverträge für die Textübernahme abzuschliessen. TopComments wurde es zu brenzlig und reagierte: «Da wir keine rechtliche Auseinandersetzung riskieren wollen, nehmen wir eine Auszeit, um diese Fragen umfassend zu regeln», teilte Edwin van der Geest am 25. November den Abonnenten per Mail mit.

Für Edwin van der Geest sind Nutzungsverträge aber kein gangbarer Weg: «Das wäre viel zu aufwändig für unser kleines Start-Up-Unternehmen.» Damit meint der TopComments-Gründer weniger die möglichen Verhandlungen mit Schweizer Verlagen, sondern jene mit ausländischen Medienunternehmen, auch solche in Indien und China. Darum herum käme er aber nicht, denn «wir müssten schliesslich alle Partner gleich behandeln.» Wie auch immer – TopComments will weitermachen: «Das Marktbedürfnis für einen Ghostreader ist erwiesenermassen da». Wie der Neustart genau gelingen soll, kann van der Geest heute noch nicht sagen. Klar ist erst so viel: Der Dienst soll nur noch einem geschlossenen Nutzerkreis zugänglich sein, in den man per Einladung aufgenommen wird. «Wir machen nun Pause und regeln die offenen Fragen.» Dabei wolle man zusammen mit den Verlagen eine Lösung finden, die einen urheberrechtlich einwandfreien Betrieb von TopComments ermöglicht.

Die Verlage sehen indes wenig Spielraum. NZZ-Jurist Kellermüller sagt klipp und klar: TopComments kann Artikel der NZZ nur mit einem Nutzungsvertrag kommerziell weiterverbreiten. «Ein geschlossener Nutzerkreis ändert nichts daran», sagt Kellermüller im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Edwin van der Geest hofft nun, die kompromisslose Haltung der Verlage im Dialog ändern zu können: «Es muss schliesslich im Interesse der Medien liegen, dass ihre Topleistungen auf verschiedenen Kanälen zum Nutzer kommen – natürlich gegen Entschädigung.» Er hält seinen Dienst weiterhin für einen Pressespiegel und würde am liebsten mit der praktischen Pauschallösung weiterfahren. In anderen Zeiten wäre vielleicht ein Entgegenkommen der Verlage möglich gewesen. Nicht aber heute, wo die Zeitungshäuser ihre Felle davonschwimmen sehen. Da kennen sie bei Urheberrechtsverstössen und dem Verdacht auf solche kein Pardon.