von Nick Lüthi

Pendeldiplomatie mit Polen

Die Medienfreiheit in Polen beschäftigt sie zur Zeit beruflich am meisten: Wie Ingrid Deltenre, Generaldirektorin der europäischen Rundfunkunion EBU, gegen weitere Gesetzesverschärfungen lobbyiert, weshalb Polen nicht vom Eurovision Songcontest ausgeschlossen werden soll und wo die ehemalige Fernsehdirektorin in die Schweizer Medienpolitik mitmischt.

MEDIENWOCHE: Sie haben die polnische Politik zu einem Marschhalt aufgefordert bei der Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes. Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sei in Gefahr. Inzwischen sind die neuen Bestimmungen in Kraft. Haben Sie eine Antwort auf ihre Protestbriefe erhalten?
Ingrid Deltenre: Eine schriftliche Antwort habe ich keine erhalten. Aber gestern war der für das Mediengesetz zuständige Minister hier in Genf. Er kam für Gespräche zur EBU zusammen mit dem neuen Fernsehdirektor und der neuen Radiodirektorin. Der Besuch erfolgte als direkte Reaktion auf meine Protestbriefe.

Werten Sie das als Erfolg?

Allein die Tatsache, dass Sie mit uns reden wollen und uns nun für einen nächsten Schritt nach Polen einladen, zeigt doch, dass ihnen etwas an einem Dialog liegt. Das finde ich schon mal sehr positiv. Es ist ihnen ein Anliegen, sich zu erklären. Sie haben sich Zeit genommen und sind auch gekommen.

Worüber haben Sie mit der Delegation gesprochen?
Sie erklärten uns noch einmal ihre Sicht der Dinge. Zu einer Annäherung in den strittigen Punkten ist es aber nicht gekommen. Wir haben auch über die erst noch anstehende, grössere Medienreform in Polen gesprochen. Das jüngst in Kraft getretene Mediengesetz ist nur der erste Schritt. Unter anderem soll nun auch die Rechtsform von Radio und Fernsehen verändert werden.

Ist das ein Problem?
Es ist in dem Sinn problematisch, als dass man dafür allen Mitarbeitenden kündigen und sie neu anstellen muss. Oder eben nur noch den politisch genehmen Teil davon. Es gibt eigentlich keine Gründe, die Rechtsform zu ändern. So schlecht sind die als AG gar nicht aufgestellt.

Was kann die EBU dagegen unternehmen?
Polen ist ein souveränes Land und wenn die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, dass sie es so haben wollen, wie es ist, dann können wir als EBU nichts machen. Darum sind wir sehr stark auf die Mittel der Diplomatie angewiesen. Da geht es darum, mit Fakten und Argumenten zu überzeugen und möglichst frühzeitig Einfluss zu nehmen auf die Diskussion. Wir sind nun nach Warschau eingeladen, so wie die polnische Delegation uns besucht hat.

Wenn Gespräche und Pendeldiplomatie keine Wirkung zeigen sollten, könnte dann die EBU Polen beispielsweise vom Eurovision Song Contest ausschliessen?
Das würden wir sicher nicht machen. Beim Song Contest wollen wir die Politik raushalten. Das bisher beschlossene Mediengesetz rechtfertig keine Sanktionen. Und man muss ich die Verhältnisse sehen: Libyen ist auch ein EBU-Mitglied, ebenso Russland und Weissrussland. Die haben alle ein Problem mit Grundwerten wie Unabhängigkeit, die wir als konstituierend für den öffentlichen Rundfunk erachten.

Wie glaubwürdig ist Ihre Haltung, wenn Sie nun so harsch gegen Polen protestieren und gleichzeitig Länder in der EBU dulden, wo es keinerlei Medienfreiheit gibt?
Es ist ja nicht so, dass wir diese Länder nicht auch kritisieren würden. Einfach etwas leiser als es nun bei Polen der Fall war. Man kann nicht immer laut sein, sonst hört einen irgendwann niemand mehr zu.

Wie ordnen Sie mit Blick auf die gesamte EBU-Mitgliedschaft die Situation in Polen ein?
Polen war bisher gut unterwegs mit den öffentlich-rechtlichen Medien. Das sieht man auch an den Zahlen. Radio und Fernsehen erzielten grosse Reichweiten. Das heisst auch, dass sie ein vielfältiges Programm anbieten, mit dem sie den Grossteil der Bevölkerung erreichen. Und mit einem hohen Marktanteil, wie das in Polen der Fall war bisher, sind sie auch kommerziell erfolgreich. Das sagt natürlich noch nichts über die Qualität der Programme aus. Aber ganz schlecht können die nicht sein, sonst würden die Leute andere Sender schauen, die Konkurrenz ist gross.

Nicht nur die EBU, auch die EU hat das neue Mediengesetz in Polen im Visier mit ihrer Rechtsstaatlichkeitsprüfung. Wie eng arbeiten Sie mit der EU zusammen?
Sehr eng. Wir halten uns gegenseitig auf dem Laufenden. Aber letztlich verfügt auch die EU nicht über Druckmittel. Sanktionen könnten nur einstimmig beschlossen werden und das ist nicht zu erreichen.

In ganz Europa stehen öffentliche und öffentlich-Rechtliche Medien unter Druck. Was geschieht da gerade?
Zum einen beobachten wir in Osteuropa einen Trend zurück zu Staatssendern. Das bedeutet eine stärkere politische Einflussnahme auf die Programme. Das sehen wir beispielsweise in Ungarn, zum Teil in Griechenland, jetzt eben in Polen und teilweise auch in den Balkanländern. Es war nicht zuletzt diese Entwicklung, die uns veranlasst hat, uns wieder stärker mit den Grundlagen des Service public zu befassen und unsere Mitglieder darauf zu sensibilisieren. Zum anderen beobachten wir, etwa in Grossbritannien, aber auch in der Schweiz, einen ideologisch motivierten Legitimationsdruck auf die BBC, respektive die SRG. Marktliberale Kreise stellen den Service public in Frage oder wollen ihn stark umbauen. Das ist legitim und im Kern eine sehr rationale Diskussion. Je länger, je mehr mischen sich aber populistische Untertöne in die Debatte.

Wird dieser Legitimationsdruck anhalten?
Auf jeden Fall. Aber das ist ein legitimer Zustand. Die öffentlich finanzierten Medien sollen und müssen sich verstärkt erklären, warum sie eine gesellschaftliche Leistung erbringen und dafür Geld erhalten. Man muss wegkommen von einer Argumentation, die allein auf die Vergangenheit baut: es braucht uns, weil es uns schon ewig gibt. Das reicht nicht mehr. Überall wird mehr Transparenz gefordert. Nicht nur bei den Medien, etwa auch von Verwaltung und Behörden.

In dieser Situation empfiehlt die EBU also: Tue Gutes und rede darüber. Aber reicht das?
Es kommt auch darauf an, wie man darüber spricht. Die EBU unterstützt den Austausch zwischen den Sendern in den verschiedenen Ländern. Dazu unternehmen wir derzeit viel. Es gibt eine Gruppe von EBU-Mitgliedern, die genau an solchen Konzepten arbeitet, um den Service-public-Gedanken wieder stärker zu verankern.

Vor zwei Jahren sagten Sie, die Schweiz spiele in Ihrem Arbeitsalltag «keine grosse Rolle». Hat sich das in der Zwischenzeit geändert mit der Intensivierung der Service-public-Debatte und der ungewissen SRG-Zukunft?
Das hat sich geändert. Und ganz klar als Folge der Service-public-Debatte. Bereits bei der RTVG-Abstimmung waren wir präsent und konnten Erfahrungen einbringen aus Deutschland, wo bereits eine Haushaltsabgabe eingeführt war. Bei der Medienkommission war ich zweimal zu Gast im Rahmen der Vorbereitung des Service-public-Berichts.

Mit der No-Billag-Initiative könnte dereinst die SRG in ihrer heutigen Form abgeschafft werden. Wenn das droht, werden Sie sich dann auch per Brief an die Schweizer Bevölkerung wenden?
Das ist gar keine Frage, das würde ich auf jeden Fall tun. Es ist wirklich meine volle Überzeugung, dass in den europäischen Ländern die Gesellschaften ärmer wären ohne das öffentlich-rechtlichen Medienangebot. Und ich glaube auch, dass damit gewisse demokratische Prozesse ernsthaft gefährdet wären. Davor will ich warnen.

Das Gespräch fand am 26. Januar am Sitz der EBU in Genf statt.