Flugzeugträger vom Stapel gelassen
Alles wird eins: drs.ch und sf.tv verschmelzen zu srf.ch und die Radio- und TV-Programme tragen alle ein SRF im Namen. Vor allem der Online-Ausbau hats in sich: Die neue Plattform gleicht einem Flugzeugträger mit kräftigem Antrieb und grosser Wasserverdrängung. Damit stellt SRF den Führungsanspruch im Netz.
Ein Relaunch findet selten zum angekündigten Zeitpunkt statt. In der Regel verzögern technische Probleme die pünktliche Auslieferung. Und wer den selbst gesetzten Termin nicht einhalten kann, erntet schon vor dem Neustart Spott und Häme. Schweizer Radio und Fernsehen SRF erging es deutlich besser: Nicht zu spät, sondern sogar eine Stunde früher als angekündigt, stand in der Nacht auf Sonntag die neue Website srf.ch online. Am Morgen ging es dann auch für die sechs Radio- und die drei TV-Programme der Deutschschweiz unter neuer Identität los.
Die mit Abstand grössten Neuerungen betreffen die Online-Aktivitäten. Anstelle der bisher getrennten Webseiten von Radio und Fernsehen gibt es nun mit srf.ch eine einzige Plattform im Netz. Wie nicht anders zu erwarten, wurde der Start von srf.ch von kritischen Fragen begleitet, wobei der Grossteil der negativen Publikumsreaktionen Mängel und Kinderkrankheiten betrafen, wie sie sich bei Projekten dieser Grössenordnung kaum vermeiden lassen. Natürlich meldeten sich auch all jene zu Wort, die sich mit dem Namenswechsel ihrer Lieblingssender nicht abfinden mögen. Solche Kritik wird über kurz oder lang verstummen.
Was noch längere Zeit für Gesprächsstoff sorgen wird (und auch muss), sind die medienpolitischen Implikationen der neuen Ausrichtung von Radio und Fernsehen. Mit der Bündelung der Online-Aktivitäten markiert SRF unverhohlen einen Führungsanspruch bei den Nachrichten- und Unterhaltungsangeboten im Netz. Dank der neuen Plattform verfügt SRF gleichsam über eine Art Flugzeugträger: Mit einem thematisch und geografisch gegliederten Nachrichtenangebot, das mittels Audio, Video, Text, Social Media und Apps, das Publikum erreichen soll, ist der mächtige Kahn potent bestückt.
Der nun erfolgte Ausbauschritt war ebenso absehbar wie auch angekündigt. Mitte Oktober präsentierte die SRG ihre neue Unternehmensstrategie, in der sie sich als Multimediahaus definiert. Mit srf.ch unterstreichen die SRG und ihr Deutschschweizer Radio und Fernsehen diesen Anspruch. Der 16. Dezember 2012 wird in die jüngere Schweizer Mediengeschichte eingehen als der Tag, an dem der gebührenfinanzierte Rundfunk einen entscheidenden Schritt vorwärts gemacht hat bei der Ablösung von linearem Radio und TV durch multimediale und non-lineare Online-Formate. Damit schafft SRF ideale Voraussetzungen, um der Überalterung des Publikums entgegenzuwirken. Das Durchschnittsalter der Online-Nutzer liegt knapp 20 Jahre tiefer als jenes der Radiohörer und Fernsehzuschauer.
Wer mit öffentlichen Mitteln operiert, wie das die SRG tut, sollte einen möglichst grossen Nutzen für die Gesellschaft erbringen. Das schaffen die Programme nur dann, wenn sie dort hingehen, wo die Leute sind – und die sind zunehmend online. Wenn es zudem stimmt, dass das Rebranding nur 70’000 Franken gekostet hat und alle übrigen Anpassungen und Änderungen aus den laufenden Budgets bezahlt werden können (was allerdings noch zu beweisen wäre), dann zeigt die SRG, wie sie ohne zusätzliche Mittel mehr aus ihren Programmen herausholt.
Was aus Sicht des gebührenzahlenden Publikums sinnvoll erscheint, wird die Konkurrenz wenig erfreuen. Die Frage, was die SRG im Internet tun darf und was sie zu lassen hat, ist noch längst nicht endgültig geklärt. Zwar hat der Bundesrat im September zur Genugtuung der Verleger entschieden, dass es der SRG vorläufig verboten bleiben soll, in ihren Online-Angeboten auch Werbung zu schalten. Gleichzeitig wurde der SRG aber erlaubt, auch Textnachrichten ohne Bezug zu einer Radio- oder Fernsehsendung auf ihren Internetseiten anbieten zu dürfen. Davon wird auf der neuen Plattform srf.ch grosszügig Gebrauch gemacht: Ein Drittel der Meldungen auf der Startseite waren am Montagmorgen reine Textnachrichten ohne dazugehöriger Ton- oder Filmbeitrag.
Ein Interessenausgleich zwischen privaten Medienunternehmen, die weiterhin nach tragfähigen Geschäftsmodellen für ihr Online-Aktivitäten suchen, und ihrer öffentlich finanzierten Konkurrenz im Netz wird zunehmend schwierig, wenn die finanziell bereits privilegierte Seite den Rahmen des Zulässigen stets ausreizt. Nicht einfacher wird die Situation, wenn dieser Rahmen vom Gesetzgeber weit offen gehalten wird und Einschränkungen, wie etwa das Online-Werbeverbot, höchstens symbolische Bedeutung haben. Je länger es dauert, bis ein griffiger Kompromiss zwischen den beiden Seiten steht, desto mehr spielt die Zeit für die SRG.