von Nick Lüthi

Viel Redundanz und wenig Substanz

Erstmals lanciert Tamedia ein mehrsprachiges publizistisches Angebot. Im Politblog, an dem vier Deutschschweizer Zeitungen und zwei Redaktionen aus der Romandie beteiligt sind, will der Sprachaustausch aber nicht recht gelingen. Und auch sonst liegt in diesem Projekt des Newsnetz zum «Superwahljahr» einiges im Argen.

«Online-Foren sind Hochemotionszonen» schrieb kürzlich tagesanzeiger.ch in einem Artikel über die «zehn häufigsten Typen von Online-Kommentatoren». Dabei blieb unerwähnt, dass die Redaktion mit ihrer Themenwahl die Art und Weise sowie die Qualität der Publikumsreaktionen massgeblich beeinflusst. Es gibt Reizthemen, polarisierende Sujets, die eine rege und laute Kommentarbeteiligung geradezu garantieren. Dazu zählt die SVP. Reizthemen bringen Quote. Das wissen Medienmacher.

Wenn das neue Newsnetz-Politblog mit einem Text zur SVP loslegt, kann das kaum Zufall sein. Gepaart mit dem etwas schwächeren, aber dennoch quotenträchtigen Reizbegriff «Medien», ergab das die perfekte Mixtur für einen zumindest quantitativ erfolgreichen Start. Inhaltlich lag der Text «Helfen die Medien der SVP?» unter dem Niveau, das Co-Chefredaktor Res Strehle eigentlich bieten könnte. Der analytisch stumpfe Beitrag, der den Medien pauschal eine Absolution erteilt, in der Berichterstattung zur SVP nichts falsch gemacht zu haben, ja: gar nichts falsch machen zu können, verheisst wenig Gutes für die Zukunft des Politblog. Dem Publikum ist das egal. Kommentiert wird sowieso. Zum Thema selbst, aber auch zu Grundsatzfragen. Viel Redundanz und wenig Substanz. Die ist zwar in einzelnen Kommentaren vorhanden, nicht aber im gesamten Strang der bisher fast 400 veröffentlichten Talk-backs.

Als wollten die Politblog-Verantwortlichen Strehles These Nachdruck verleihen, erhielt SVP-Nationalrat Lukas Reimann als Gastautor eine Carte blanche, die er zu einem Angriff auf den Ständerat als Institution nutzt. Auch die weiteren in der ersten Woche veröffentlichten Beiträge lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass die Redaktion neue Akzente zu setzen imstande ist in der bisher nicht besonders erspriesslichen Online-Debattenkultur. Ein erzürnter Thierry Meyer, Chefredaktor von 24 Heures, bezichtigt die Medienwissenschaft des Dilettantismus bei ihrer Einschätzung zur Zukunft der Medien und beschwört die grandiosen staatsbürgerlichen Leistungen der Presse im Internet. Dumm nur, dass Meyer ebenso selbstgefällig und überheblich daherschreibt, wie er dies den Akademikern vorwirft. Vielleicht entsteht dieser Eindruck auch nur wegen der Übersetzung von Meyers Artikel aus dem Französischen, was die Sache aber auch nicht wirklich besser macht.

Überhaupt will das mit der Zweisprachigkeit noch nicht so recht gelingen, obwohl gerade der Brückenschlag über den Röstigraben das Innovative am Politblog sein könnte. Mit der «Tribune de Genève» und «24 Heures» kommen zwei der vier beteiligten Redaktionen aus der Westschweiz. Tamedia als inzwischen gesamtschweizerischer Konzern lanciert mit dem Politblog erstmals ein zweisprachiges Angebot mit identischen Artikeln in Deutsch und Französisch. Doch die Leser der welschen Titel haben offensichtlich keine Lust zum Mitdiskutieren. Abgesehen von vereinzelten französischen Kommentaren, bleibt das Politblog eine Deutschschweizer Veranstaltung. Von einem Dialog zwischen den Landesteilen kann keine Rede sein. Das sagt vermutlich weniger über die Debattierlust der Romands aus, als über die Kommentarkultur der Deutschschweizer.

Leserbeiträge

Ronnie Grob 07. März 2011, 16:48

Die Idee, Texte zu übersetzen, find ich grossartig und unbedingt nachahmenswert. Dein Urteil ist ja auch eine Momentaufnahme des aktuellen Zustands und hinsichtlich der bei Newsnetz so stark gewichteten Quote durchaus richtig. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass Beiträge ennet der Sprachgrenze den Röschtigraben überspringen und ins Bewusstsein der anderen Journalisten und Kommentatoren dringen. Vielleicht schafft es ja in Zukunft der eine oder andere Beitrag.

Martin Steiger 07. März 2011, 19:11

Als wollten die Politblog-Verantwortlichen Strehles These Nachdruck verleihen, erhielt SVP-Nationalrat Lukas Reimann als Gastautor eine Carte blanche, die er zu einem Angriff auf den Ständerat als Institution nutzt.

Die Forderung nach Transparenz im Ständerat als Angriff auf die Institution «Ständerat»??? Wie soll ich die Leistungen der Ständeräte meines Kantons beurteilen, wenn ich gar nicht weiss, mit welchen Stimmabgaben sie meinen Kanton im Ständerat repräsentieren?

Es scheint, als ob Transparenz für viele Journalisten jeweils nur ein Thema sei, wenn es um Blocher, die SVP oder die «Weltwoche» geht – mit einigen löblichen Ausnahmen, insbesondere beim «Beobachter». Dabei müssten doch gerade auch Journalisten an Transparenz im Politbetrieb organisiert sein, jedenfalls jene, die nicht bloss Medienmitteilungen und sonstige Verlautbarungen aus Bern in Artikel umschreiben …