Wo kein Wille ist
Zeit zum Handeln? Nicht unbedingt, vielleicht später. Handlungsbedarf? Den gibt es sehr wohl. So widersprüchlich präsentiert sich derzeit die schweizerische Medienpolitik. An der Jahrestagung des Vereins Medienkritik Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft gab es Erklärungen für die Stagnation und den Handlungsunwillen.
An Fakten und Empfehlungen mangelt es nicht. Wissenschaft und Forschung vermessen die schweizerische Medienlandschaft intensiv. Der Medienwandel ist umfassend dokumentiert, zuletzt mit den Studien zur «Zukunft der Medien in der Schweiz», die das Bakom zur Erfüllung des Postulats von SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr bei mehreren Hochschulen und Universitäten bestellt hatte.
Die Bakom-Studien zeigen auch auf, wie und wo künftige Medienpolitik ansetzen könnte. Es geht also weniger um die Frage: Was kann man tun, sondern: was will man tun. Die Wissenschaft, an der Fachtagung vom letzten Donnerstag vertreten durch Mitarbeiter des IPMZ, kann allerdings keinen Gestaltungswillen erkennen. Oder wie sich Manuel Puppis pointiert ausdrückte: «Der Bundesrat will nichts tun und die Parteien lavieren.»
Jüngstes Beispiel: Zwar teilt der Bundesrat die in den Studien geäusserten Bedenken, wonach der freie Markt allein nicht imstande den Defizite im schweizerischen Mediensystem zu begegnen, will aber die Medien genau diesem freien Markt überlassen und in vier Jahren dann mal weiterschauen.
Somit werden wie bis anhin vor allem globale und technologische Entwicklungen den Medienwandel in der Schweiz vorantreiben. Google, Apple, Facebook und Twitter gestalten die Medienlandschaft stärker, als dies eine Medienpolitik je zu tun imstande wäre.
Die Veränderungen der letzte 15 Jahre sind unübersehbar. Das Internet hinterlässt deutliche Spuren, Konflikte entstehen vermehrt entlang neuer Bruchlinien. Und so kam es denn auch, dass an der Medienpolitik-Tagung einmal mehr Verleger und SRG-Vertreter über die Grenzen des Online-Engagements von Schweizer Radio und Fernsehen diskutierten.
Während die SRG den Verlegern einen Online-Burgfrieden schmackhaft zu machen versucht, nach dem Motto: gemeinsam gegen die übermächtigen Ausländer, reklamieren die Verleger das Internet als ihr ureigenes publizistisches und kommerzielles Stammgebiet für sich. Es geht für beide Seiten um viel. Umso mehr, als dass bereits die nächste Revision des Radio- und Fernsehgesetzes ansteht, wo viel auf dem Spiel steht für beide.
Der Streit zeigt exemplarisch, dass man unter Medienpolitik in der Schweiz vor allem die Wahrung und Verteidigung von Partikularinteressen versteht. Oder wie es SP-Nationalrat Hansjürg Fehr sagte: In der Schweiz gibt es eine Radio- und Fernsehpolitik (aber auch nur dann, wenn ein Gesetz beraten wird), aber keine Medienpolitik.
Allein der Wille fehlt, Umrisse einer schweizerischen Medienlandschaft definieren, ja sogar, sich überhaupt auf eine gemeinsame Sprache verständigen zu wollen. Wer nun einwendet, eine aktive Medienpolitik führe automatisch zu mehr Regulierung und staatlichem Einfluss auf die Inhalte, denkt zu kurz. Ein Entscheid über die Wahl der passenden Instrumente setzt voraus, dass alle beteiligten nicht nur die Instrumente, sondern auch den Patienten kennen.
Wenig überraschend blieb es an der Fachtagung der Wissenschaft vorbehalten, das Feld abzustecken und aufzuzeigen, wo künftige Diskussionen zur Medienpolitik ansetzen könnte. Wobei hier insbesondere Werner A. Meier mit seinem Plädoyer für einen stärkeren Einbezug der Zivilgesellschaft in die medienpolitische Debatte mittels Media Governance einen klaren Akzent setzte. «Medienunternehmen machen Medienpolitik. Publikum und Zivilgesellschaft sind nicht präsent», sagte Meier. Eine Anregung, die das anwesende politische Personal nicht sonderlich zu interessieren schien.
Die abschliessende Podiumsdiskussion mit Vertretern der vier grossen Bundesratsparteien bewegte sich im gewohnten Klein-Klein. Die Linke (Hans-Jürg Fehr, SP) fordert mehr Regulierung, die Rechte (Martin Baltisser, SVP und Filippo Leutenegger, FDP) weniger Regulierung und die Mitte (CVP) etwas dazwischen. Wobei sich CVP-Generalsekretär Tim Frey immerhin bemühte, die von Glaubenssätzen geprägte Regulierungsdebatte vom Kopf auf die Füsse zu stellen, wenn er sagte: «Möglichst wenig Regulierung ist keine Haltung. Es geht um möglichst gute Regulierung.»
Wie sich die Parteien in der Medienpolitik positionieren, hat der Verein Medienkrtitik mit einer Befragung der Parteien und weiterer gesellschaftlicher Akteure herauszufinden versucht. An der Tagung präsentierte Jurist und Vorstandsmitglied Philip Kübler die Ergebnisse. Obwohl sich die Parteien beim Befund weitgehend einig sind und zahlreiche Defizite im Mediensystem orten, zeigt sich ein klarer Links-Rechts-Graben, wenn es darum geht zu handeln. Die Linke sieht Handlungsbedarf bei der direkten Presse-Förderung, der Ausbildung der Journalisten und will die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse von Medienunternehmen. Die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsvertreter stemmen sich dagegen. Bei der Befragung zeigte sich zudem, dass die heute praktizierte indirekte Presseförderung mittels verbilligter Posttaxen keinerlei positive Wirkung zugeschrieben wird.
Eine Erklärung für den medienpolitischen Stillstand in der Schweiz lieferte gegen Ende der Veranstaltung Martin Dumermuth. Der Direktor des Bundesamts für Kommunikation sieht die Medien in einem «Suchprozess» mit unbekanntem Ausgang. Niemand wisse, wie dieser Prozess weitergehe, weder die Medien selbst noch der Bundesrat. Dieser hat zwar Probleme erkannt, will sich aber Zeit lassen, bis der Nebel verzogen ist und sich die Medien selbst positioniert haben.
Hermann T. Meyer 17. November 2011, 10:27
Es ist normal, dass jeder der Akteure Medienkritik anders versteht, d.h. so, dass sie seinen Interessen entspricht. Das heisst aber auch, dass der Bundesrat, als Vertreter der Bevölkerung, aktiv für deren Interessen einstehen sollte. Er müsste darüber wachen, dass die Medien ihrer Informati0nspflicht, zu der sie sich in ihrer Selbstregulierung verpflichtet haben oder auf Grund der Konzessionsbestimmungen verpflichtet sind, auch nachkommen. Auf dem Gebiet der Alkoholpolitik ist dies bisher nicht der Fall. Leider kann nicht mit einer Besserung gerechnet werden, so lange der Bundesrat selber der Bevölkerung die massgebenden Informationen vorenthält und damit eine objektive Diskussion verunmöglicht.
(Die sprachliche Gestaltung des obigen Artikels lässt zu wünschen übrig.)
Thommen_61 19. November 2011, 16:38
In unserem Wirtschaftssystem geht es immer darum, dass „ungeregelte“ Gebiete erst wirtschaftlich ausgebeutet werden können, hinterher dürfen dann die Gesetze kommen…